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„Staatsoperette – die Austrotragödie“

Staatsoperette – Die Austrotragödie

in 2 Akten, eine Bearbeitung der Staatsoperette von Franz Novotny und Otto M. Zykan (1977) durch Michael Mautner und Irene Suchy (2015)

Uraufführung, Koproduktion mit den Bregenzer Festspielen

Bregenz 2. & 4. August 2016, Bregenzer Festspiele, Werkstattbühne

Wien, Neue Oper 13., 16., 17. & 18. September 2016

 

Barbara PöltlDie Rechte / Laura SchneiderhanDie Linke / Camillo dell’AntonioSeipl / Hagen Matzeit, Hitler & Dollfuß / Marco Di SapiaRintelen, Pfrimer, Bauer / Gernot HeinrichMussolini & Fürst Starhemberg / Dieter Kschwendt-MichelSchuschnigg /Stephan RehmKommentator / Thomas WeinhappelPolizeipräsident & Wallisch

Musikalische Leitung Walter KobéraRegie Simon MeusburgerBühne & Kostüme Nikolaus WebernLichtdesign Norbert ChmelChorleitung Michael GrohotolskyPuppenbau- & coaching Nikolaus HabjanVideo Tina Lanner

Wiener Kammerchor, amadeus ensemble-wien

 

Kritiken

 

Nikolaus Habjans Puppen, bedient von den Sängern der jeweiligen Rollen, vollbringen die Paradoxie und reißen den historischen Figuren alle Masken herunter, die sie auf alten Fotos und in Filmaufnahmen noch tragen mögen. Wenn Kanzler und Diktatoren sich in bleichen, reptiliengleichen Klappmaulgesichtern verdoppeln, konzentrieren und offenbaren, wächst das szenische Geschehen über sich selbst hinaus – und wirklich unheimlich. (…) Zusammen mit dem Ensemble legt sich der Wiener Kammerchor voll ins Zeug, und dass man im manchmal bunten Zuckerguss der Musik immer auch noch die starke Prise Zykan’schen Pfeffers herausschmeckt, dafür sorgt Walter Kobéra am Pult des Amadeus-Ensembles. – (Die Presse, Walter Weidringer, 03.08.2017)

 

 

 

Der einst skandalisierte Film hat auf die Bühne gefunden, würde bei den Bregenzer Festspielen mit Sicherheit mehr Publikum erreichen als in zwei Aufführungen auf der Werkstattbühne Platz finden und wird an der Neuen Oper in Wien weitergespielt. (…) Die Rollen sind mehrfach besetzt, Camille dell’Antonio, Marco Di Sepia, Gernot Heinrich oder Hagen Matzeit bieten treffliche Figuren, die sehr genau agierend stets an der Grenze zur Karikatur bleiben. Barbara Pöltl und Laura Schneiderhan, die beiden, stimmlich wie schauspielerisch versierten Frauen als kommentierende Linke und Rechte schließt das Premierenpublikum ebenso in den großen Applaus mit ein wie das gesamte Ensemble, das Leading Team und vor allem auch Nikolaus Habjan, der gemeinsam mit Simon Meusburger Produktionen zur Zeitgeschichte kreierte und für diese „Staatsoperette“ etwa für Mussolini, Hitler, Seipel, Dollfuß und Schuschnigg Puppen schuf, die der Handlung gewissermaßen ein Allgemeingültigkeit verleihen.“ – (Vorarlberger Nachrichten, Christa Dietrich, 03.08.2017)

 

 

Um einem heute zunehmend geschichtslosen Publikum Verständnisbrücken zu bauen, haben Mautner-Suchy einen erzählenden Moderator erfunden und lassen eine „linke“ Arbeiterfrau und eine „rechte“ Gehobenes-Bürgertumsgattin zwischen den Handlungsstationen ihr jeweiliges Erleben vortragen. Beides ist textlich zu schlicht, überschneidet sich inhaltlich und wirkt statt distanzierend respektiv à la Brecht eher nur theatralisch hölzern – da ist abermalige Bearbeitung wünschenswert. Als gelungener Kunstgriff erwies sich Idee, den Seipel-, Dollfuß-, Mussolini- und andere Hauptfiguren jeweils sie selbst als Double in Form einer Oberkörper-Sitzpuppe beizufügen: da „saß“ die Entlarvung als „öffentliche Polit- Marionette, während der echte im Hintergrund…“ – erschreckend gesteigert noch, wenn die „erledigte“ Puppe dann entweder im goldenen Bilderrahmen oder gar am Kreuz hing. (Neue Musikzeitung, Wolf-Dieter Peter, 03.08.2016)

 

 

Ein anderes Element unterstreicht die Doppelbödigkeit: Es sind Nikolaus Habjans Puppen, die in der «Staatsoperette» eine tragende Rolle zugewiesen bekommen. Der Kanzler Seipel, sein Nachfolger Dollfuss und Italiens Diktator Benito Mussolini treten nicht nur als reale Personen auf, sondern mit ihrem puppenhaften Doppelgänger. Ein starker Verfremdungseffekt geht damit einher, das Stück wird grell, unheimlich, erschreckend. (Tagblatt, Rolf App, 04.08.2016)

 

 

 

Der kleine Diktator sieht aus, als sei er einem blutrünstigen Horrorfilm entsprungen: Kalkweißes Gesicht, auf dem Kopf von Engelbert Dollfußsprießt ein dürftiges Haarbüschel. Die Augen sind rot umrändert, aus dem Mundwinkel tropft ein dünner Blutfaden. Diese furchteinflößende Zombie-Figur singt mit femininer Kopfstimme, süß wie ein Engel: „Auf, auf ihr Brüder, ’s Vaterland brennt! Es bricht alles nieder, es fallt, wer net rennt.“

Kein Schauspieler verkörpert jedoch diese Gruselgestalt aus der österreichischen Zeitgeschichte, sondern eine Klappmaulpuppe, die der Regisseur und Puppenspieler Nikolaus Habjan gestaltet hat. Sie ist die zentrale Figur der Bühnenfassung der Staatsoperette, die bei den Bregenzer Festspielen Premiere hatte und nun auch in Wien zu sehen ist. 

… In der neuen Bühnenfassung werden prägende politische Figuren der Nachkriegszeit – etwa der christlich-soziale Bundeskanzler Ignaz Seipel, der „Prälat ohne Milde“, Polizeipräsident Johann Schober, der nach dem Justizpalastbrand im Jahr 1927 auf Arbeiter schießen ließ, oder der zögerliche, intellektuelle Sozialistenführer Otto Bauer – mal als Schauspieler, dann wiederum als Puppen-Doubles in groteske Karikaturen verwandelt. Wie Operettenbuffos geben sie sich allerlei exaltiertem Treiben hin. Dazu verbrüdern sich schroffe Avantgarde-Kompositionen mit schmalzigen Melodien zu einem disharmonischen Klanggebräu. Ein aufwendiger Theaterapparat mit Filmprojektionen, Lichterspielen und Trockeneis macht aus dem Kleinkunstwerk eine große Show, irgendwo zwischen Popspektakel und Geisterbahn. Diese Staatsoperette ist kein Wohlfühl-Opus, sondern ein Totentanz, das Kontrastprogramm zum Historienkitsch im Musicalprogramm der kommunalen Wiener Bühnen: „Ihr werdet sehn, der Tod is schön, a wenn’s Euch gar net passt.“(Die Zeit, Thomas Mießgang, 12.09.2017)

 

 

Nun bearbeitete der Komponist Michael Mautner das musikalische Fragment und erstellte gemeinsam mit Irene Suchy, der Lebensgefährtin Zykans, eine Bühnenfassung der Staatsoperette, wobei in der Inszenierung von Simon Meusburger die Darstellung der politischen Akteure mit Hilfe von Puppen, die der Puppenkünstler Nikolaus Habjan herstellte, verdeutlicht und karikiert wurde. Das Bühnenbild und die historisch anmutenden Kostüme schuf Nikolaus Webern, für das Video zeichnete Tina Lannerverantwortlich, für das Lichtdesign Norbert Chmel.

… Der Artikel von Axel Petri-Preis im Programmheft geht auch auf die Bezeichnung „Operette“ ein: „Der Gattungsbegriff „Operette“ im Titel bezieht sich nicht sosehr auf die Musik des Werkes, die gleichwohl Elemente der Operette aufgreift, sondern steht vielmehr für die operettenhafte Handlung, in der die Abgründe hinter der Walzerseligkeit schonungslos offengelegt werden. Die portraitierten politischen Führer demaskieren sich in ihrer Unfähigkeit und Machtgier selbst und geben sich so der Lächerlichkeit preis.“

 Gerade das zeigte die Inszenierung, die sich als groteske Satire entpuppte, ausgezeichnet. Viele historische Figuren, wie Ignaz Seipel, Engelbert Dollfuß, Kurt Schuschnigg, Adolf Hitler und Benito Mussolini, werden durch die Puppen geschickt verfremdet – nicht selten blieb dem Publikum das Lachen im Halse stecken!  (online Merker, 13.09.2017)