Schlag sie tot
ab 2009 Schlag sie tot – de luxe
Schubert Theater Wien, Premiere 22.10.2008
Idee, Konzept, Puppendesign, -bau: Nikolaus Habjan
Buch: Nikolaus Habjan und Simon Meusburger
Kostüme: Katharina Kappert / Lisa Zingerle
Inszenierung: Simon Meusburger
Puppenspiel: Nikolaus Habjan
Puppenspiel: Natalie Neumann (2008/09), Martina Ebm (2009/10) seit 2010 Manuela Linshalm
Klavierspiel: Daniel Nguyen / Christoph Hackenberg
Sprecher: Christoph Hackenberg
Gastspiele im Schauspielhaus Graz, Posthof Linz, Leipzig (euro-scene 2016), Theaterforum München, Theater Ticino Wädenswil u.a.m.
Kritiken
Puppen dürfen alles – und noch mehr!
Bitterböses Puppentheater für Erwachsene hat Nikolaus Habjan für sein Gastspiel im Grazer Theater am Lend angekündigt. Mit „Schlag sie tot“ hat er sein Versprechen eingehalten – die Verwandtschaft zu Lehrer Neville Tranter kann er dabei nicht leugnen…
Gut und böse sind bei Habjan leere Hüllen, die er mit bissigem Witz und böser Satire auffüllt, bis sie platzen….
Sehr sehenswert!
(Kronen Zeitung, Christoph Hartner, 30.01.2009)
Eine morbide Runde im Altenheim
Überspitzte Gesichtszüge und aasige Ausstrahlung: Nikolaus Habjan führt seine Figuren mit Natalie Neumann im „Altersheim Immergrün“ an der Hand, rabenschwarz geht es in dieser Endstation zu, Lehrmeister Neville Tranter und Vorbild Georg Kreisler blitzen durch….
Ein schräges Gruselkabinett vom Schubert Theater mit Faschismus, Haider-Verklärung, Ausländerhetze
(Kleine Zeitung, Eli Spitz, 30.01.2009)
…Der makabre Titel ist übrigens einem Chanson von Georg Kreisler entlehnt. Nikolaus Habjan, der für Konzept, Puppendesign, Puppenbau und Spiel verantwortlich ist, hat mit Herrn Berni ein „Kind des legendären Herrn Karl“ kreiert.
(Kleine Zeitung, 26.01.2009)
In seinem Programm „ Schlag sie tot de luxe“ hauchte er (Nikolaus Habjan) Leben in seine Klappmaulpuppen, ließ sie schweben, fliegen und schlussendlich sterben. Habjan verborgte seine Stimme, seine Hände, ja sogar seine Beine an die selbst gefertigten Puppen, die dann schier auflebten und das Publikum vergessen ließen, dass sie „nur“ aus Strumpf, Pappmache und Latex bestehen…Ein karges Bühnenbild, ein wenig Licht und Ton sowie ein Pianist umrahmen ein Stück mit Witz, Ironie und vor allem viel bitterbösen Humor- kurzum Theater pur. (Weststeirische Rundschau, 14.05.2010)
Herr Berni ist nach einem Schlaganfall in der Seniorenresidenz „Immergrün“ gelandet, dabei hasst er grün. Er hat den Wiener Schmäh, lästert über das Publikum oder pöbelt den Klavierspieler (Daniel Nguyen) rassistisch an.
Aber einer Puppe böse sein? Puppentheater zum Auftakt des „Black Humour“-Festivals am Samstag im rammelvollen Linzer Posthof, in der Regie von Simon Meusburger, die Urfassung von 2008 aktualisiert und „de Luxe“ erweitert. Nikolaus Habjan und Manuela Linshalm hauchen den Puppen viel Leben ein. Herr Berni kommt Schwester Sylvie und dem Heimleiter Dr. Gerd Oberwetz-Schnittke auf die Schliche, die sämtliche „Immergrün“-Insassen beseitigen und beerben wollen. Herrn Berni zur Seite die liebeshungrige einstige Operndiva Gisela, die aussieht wie eine sehr heruntergekommene Marlene Dietrich (Ausstattung: Lisa Zingerle). Den liebenswerten Hermann Diletti und die fresssüchtige Bettina können sie nicht mehr retten. Es kommt zum Showdown samt Flammeninferno, Bayreuth nix dagegen. (Neues Volksblatt, 4. Mai 2015)
Die Villa Grün ist ein Mikrokosmos der Niedertracht…Die Puppenspieler Habjan und Manuela Linshalm setzen auf übertourte Effekte. Vielleicht ist deshalb die Figur des Diletti so sympathisch, weil er mit minimaler Gestik seine Gefühlswelt eindrucksvoll ausstellt. Und sich liebenswürdig beim Puppenspieler bedankt, der ihn auf seinen Einsatz beim Lied hinweist…Man darf das Stück mit Kreislers großartigen „Everblacks“ aber auch einfach als überdrehten Musik-Krimi genießen. In den Applaus mischen sich Bravo-Rufe. (Leipziger Volkszeitung, Dimo Riess, 11.11.2016)
In „Schlag sie tot“ fackeln die gealterte Wagner-Diva Gisela Hering – ihr „hat der Reichskanzler 1933 persönlich die Hand geküsst“ – und der um sich knarzende Herr Berni das Altersheim „Villa Immergrün“ ab.
… Manuela Linshalm für die Frauenrollen und Nikolaus Habjan sind wie verwachsen mit ihren Klappmaulpuppen und den Abgründen von deren so goldenen Wiener Herzen. Und es hat ganz innige Töne, wenn Habjan dem senilen Eis-Magnaten Hermann Diletti die sanft verhangene Stimme leiht. (Neue Musikzeitung, Roland. H. Dippel, 17.11.2016)
Sie lebt vom Klappmaulpuppenspiel und der Verbindung humorvoll-böser Texte mit Liedern von Georg Kreisler. Regisseur Simon Meusburger setz- te gemeinsam mit den Spielern Nikolaus Habjan und Manuela Linshalm ein Feuerwerk an schrägen Typen und Ideen in Szene. Wiener Mundart in Verbindung mit den grell überzeichneten Klappmaulfiguren. Wer Stücke von Neville Tranter gesehen hat, erkennt hier einiges wieder. Das muss der „Urknall“ für Nikolaus Habjan gewesen sein: die Entdeckung des ungehemmt grantelnden Pen- sionärs Bernhard Schwingenschläger, genannt Berni. Er hat dafür den Wienern auf den Mund geschaut, sie in der Konditorei und der U-Bahn belauscht. Zitat: „Lieber Gott wir danken dir, dass die Neger hungern und nicht wir!“ Seine Bösartigkeit und Weltverdrossenheit lässt sich hervorragend mit Georg Kreisler, seinen Liedern und de- ren Gesellschaftskritik kombinieren, schreibt das Team im Programmheft. Die Theatergrenzen überschreiten, die Zuschauer, den Puppenspieler, den unsichtbaren Regis- seur anpflaumen – „I los mir doch net den Mund ver- bietn!“ – das ist auch die konsequente Behauptung von Unabhängigkeit und Lebendigkeit der Puppe. Und genau das frappiert die Zuschauer in der Schaubühne Lindenfels in Leipzig, die meistenteils solche Puppen als Schauspie- ler noch nie gesehen haben. Die Leipziger sind noch ein wenig zurückhaltend und ich denke bei mir: das müsste man einmal in Wien sehen! Mit einem Publikum, was sei- ne Nachbarn im Stück wiedererkennt und das die Kreis- ler-Lieder mitsummen kann. In dieser frühen Inszenierung sind schon alle wesent- lichen Elemente seines Spieles da: die Dramatik und gro- ße Emotionalität, die radikale Behauptung der lebendi- gen Figur, die Freude am Erzählen einer Geschichte. Und der Tod ist immer dabei. Wie Nikolaus Habjan es in fast jedem Interview ausspricht: „Puppen können alles. Sie können fliegen und sie können sterben.“
Mit der Gleichzeitigkeit der Ereignisse in der Politik und auf der Bühne weht ein Hauch von Weltgeschichte durch den Raum. Und was sagt Pensionär Herr Berni zum Ergebnis der Wahl von Donald Trump? „Naja, Hauptsach‘ koa Frau!“ (Puppen Menschen & Objekte 2016/2, Nr. 115, Frank Schenke: Der Tod ist immer dabei Portrait – Eindrücke von der Werkschau Nikolaus Habjan)
Schlag sie tot!“ ist eine liebevoll zelebrierte Hommage an Georg Kreisler. Das übrigens nicht nur aufgrund des Titels – Assoziationen zum gleichnamigen Chanson sind vorprogrammiert. Immer wieder werden Lieder des unvergleichlichen Wiener Sängers mit dem Hang zu schwarzem Humor angestimmt. Die fügen sich harmonisch in das große Ganze oder werden kurzerhand passend gemacht; philosophiert der ehemalige Eisverkäufer Herr Diletti schwärmerisch von seinem Triangelspieler-Tum – ehe er wieder, ganz sein seniles selbst, nach dem fehlenden Wort im Sudoku sucht. Die Hommage an Georg Kreisler scheint aber weitreichender, als auf den ersten Blick ersichtlich. Herr Berni, der eigentliche Protagonist und Dreh-und-Angelpunkt von „Schlag sie tot!“, fungiert als optisches Kreisler Zitat. Die Ähnlichkeit ist frappant und das nicht nur die Physiognomie betreffend; auch inhaltlich eröffnet sich die eine oder andere Analogie – niemand beleidigt das Publikum so eloquent und mit so viel Charme wie der Neo-Schnüffler aus dem Altersheim Immergrün. Wobei sich in Herrn Bernis Wiener Sprachkolorit liebenswürdig grantelnde Hans Moser-Reminiszenzen einschleichen und mit dem durch und durch schwarzen Humor eines Georg Kreislers vermengen. Die explosive Mischung sorgt für jede Menge Lachmuskel-Zündstoff. Vermutlich erklärt diese Kreisler Nähe des Puppenkrimis auch seinen Hang zu Zyankali und Arsen, das bei der Eliminierung der Heimbewohner eine tragende Rolle spielt. So locker, frei und fröhlich geht damit eigentlich nur der Chansonnier im Frühling die Tauben vergiften.
Rasch wird deutlich, was an „Schlag sie tot“ so besonders ist. Vor den Zuschauer*innen-Augen entfaltet sich ein unvergleichlicher Puppenkrimi. Das Setting ist dezent und mit Sofa und Schminktisch auf das Allernötigste reduzier Hie und da sorgen Infusionen und Einlaufschläuche für das gewisse Altersheim-Flair. Die einzelnen Klappmaulfiguren, die N. Habjan selbst kreierte und bei denen er sich auch gerne von Egon Schiele inspirieren lässt, sind faszinierend schräg und komplettieren das Schauspieler*innen-Duo hervorragend. Alsbald wächst das Ensemble von zwei Spieler*innen plus Musiker am Klavier auf neun an. Gemeinsam mit den Schauspieler*innen bilden die Klappmaulfiguren eine dichte Einheit. Nikolaus Habjan und Manuela Linshalm leihen den Figuren zwar ihre Stimme und den Unterkörper, werden aber zugleich eins mit den Figuren. Im Umkehrschluss verlieren sie die eigene Körperlichkeit. Es sei denn, die Figuren benötigen sie gerade für ihre Zwecke, dann tritt der*die Puppenspieler*in aus dem Schatten hervor. So wendet sich beispielsweise die kokette Schwester Sylvie bei ihren Flirtversuchen mit Herrn Diletti an ihre Puppenfrau. Sie selbst habe ja keinen Hintern, zeigt sich Schwester Sylvie selbstreflexiv, deshalb wäre es sehr freundlich, wenn Manuela Linshalm eben kurz mit dem ihren für sie wackeln könne.
Die Virtuosität und Kunst der Puppenspieler wird an den einzelnen Figurenwechsel und Dialogen deutlich. Es ist nicht ungewöhnlich, dass N. Habjan und M. Linshalm mehreren Puppen gleichzeitig Leben einhauchen. Durch Stimmveränderung und variablen Sprachduktus entstehen neue Charaktere, die auch in der Puppenführung in absoluter Weise differieren. So grantelt Herr Berni typisch brummig, wienerisch und schwarz auf der linken Seite, während rechts die sanfte, leicht senile und immer freundliche Stimme eines Herrn Diletti erklingt. Auch mit Oberarzt Dr. Gerd Oberwetz-Schnittke disputiert der rüstige Alte gerne. Dessen persistentes „Pillepalle“ kann Herr Berni schon nicht mehr hören, was einmal mehr die wunderbare Wandelbarkeit des Puppenspielers akzentuiert.
Die Puppen genießen Narrenfreiheit – „Schlag sie tot“ übt bei aller Puppenspielerei deshalb vor allem Kritik. Ungeniert und pointiert schießt Herr Berni gegen aktuelle politische Verhältnisse und thematisiert Missstände, dass es eine Wohltat ist. Den Puppen und dem kabarettistischen Format ist es gezollt, dass selbstverständlich niemand Anstand daran nimmt. Stattdessen darf aus tiefstem Herzen in das allgemeine Lachen eingestimmt werden. (https://www.whatisawfromthecheapseats.com/schlag-sie-tot-motzart-festival/, 29.01.2017)
Ähnlich verfährt die groteske Satire „Schlag sie tot“, in der Habjan gemeinsam mit der Puppenspielerin Manuela Linshalm den grantigen Rentner Berni und die divenhafte Opernsängerin Gisela in ein kriminalistisches Operndrama verwickelt: Die intrigante Krankenschwester Sylvie, nach dem Erbe gierend, verführt den Leiter des Altenheims „Immergrün“ zum Mord an den vermögenden Rentnern. Der Kampf auf Leben und Tod zwischen den karikativen Figuren wird zugleich auch musikalisch ausgetragen: im Wechselspiel zwischen Liedern des Anarchisten Georg Kreisler und Opernfragmenten Richard Wagners. Die Figuren Berni und Gisela werden dabei immer wieder ironisch gebrochen, rezitieren zwar das Werk Kreislers und streben heldenhaft nach Rettung der Heimbewohner, sind aber selbst vor rassistischen Ausfällen und nostalgischen Erinnerungen an den „handküssenden Reichskanzler“ auf den Wagnerfestspielen 1933 nicht gefeit.
(Theater der Zeit, Lilli Helmbold, Jahrgang 2017 › Heft 01/2017)