Fasching
Dramatisierung des gleichnamigen Romans von Gerhard Fritsch
Volkstheater Wien, Premiere 05.09.2015
Regie: Anna Badora
Dramaturgie: Roland Koberg
Bühne: Michael Simon
Kostüme: Denise Heschl
Puppendesign und -bau: Nikolaus Habjan
Mit Christian Dolezal (Lujo Warhejtl / Marietheres Lubits )
Thomas Frank (Lois Lubits / Frau in Cowboy-Maskerade/Fiala)
Nikolaus Habjan (Felix Golub )
Katharina Klar (Pia / Dr. Gottlieb Winiak)
Adele Neuhauser (Vittoria Pisani)
Stefanie Reinsperger (Hilga Pengg)
Christoph Rothenbuchner (August Pacher-Pichler / Max Plabutsch)
Nils Rovira-Muñoz (Felix Golub)
Stefan Suske (Raimund Wazurak),
Elena Schmidt (Radegund Plabutsch / Vinzenz Windischreiter).
Vorbericht
Hinter der Bühne, in den drückend heißen Garderoben, der Geruch von Puder und Haarspray. Dort hantiert Nikolaus Habjan an seinen Puppen. Mit der rechten Hand schlüpft er in den modellierten Kopf; flugs fixieren einen stechend blaue Kunststoffaugen. Habjan hat rund drei Monate lang, von Februar bis zu Probenbeginn im Mai, an der Bühnenfigur gearbeitet, diverse Variationen hergestellt. Die Wahl fiel schließlich auf expressionistisch-abstrakte Gesichtszüge. „Das ist ideal“, sagt Habjan, „damit die Puppe auf der Bühne real wirkt und sich zugleich abhebt.“ Habjans Schöpfung verkörpert die innere Stimme des Protagonisten in „Fasching“ mit Namen Felix Golup, dargestellt von Volkstheater-Neuzugang Nils Rovira-Muñoz.(Wiener Zeitung, Petra Paterno, 02.09.2015)
Kritiken
Nils Rovira-Muñoz und Nikolaus Habjan teilen sich die Rolle des Felix. Das heißt: es gibt vier davon. Rovira-Muñoz spielt den jungen Deserteur und den Heimkehrer als vehemente Verweigerer. Er ist auch waidwund noch im Widerstand gegen die Sich’s-Richter, er zeigt in Zivil Courage, geht angesichts der Lauter-Opfer-keine-Täter-Mentalität seiner Peiniger vor Wut im Wortsinn die Wand hoch, kann natürlich, obwohl das Schlussbild einer Pietà ähnelt, kein Mitleid erfahren. Habjan komplettiert die Figur mit seinen Figuren: einer berührenden Felix-Kinderpuppe und der inneren Stimme des erwachsenen Felix, einem feinstofflichen Rovira-Muñoz-Zwilling. Habjan gelingen damit die stärksten Momente des Abends, er nicht nur ein bekannt begnadeter Puppeteer, sondern als Schauspieler – stimmlich – so präsent wie es sich wünschen lässt. Zugegeben, er hat die lyrischsten Sätze, aber wie er beispielsweise mit benetzstrumpften Baroninbeinen und Felixkopf dazwischen eine Beschlafungsszene erzeugt, das ist große Kunst.(Bühne, Michaela Mottinger, 06.09.2015)
Heimkehrer Felix Golub wandert durch Nebel und Dunkelheit. Er ist nur eine Puppe auf leerer Bühne, dessen lebensgroßen Oberkörper sich der der Puppenspieler Nikolaus Habjan vor den Leib hält, während er als zweifelnder Golub Situationen beschreibt:
„Aus dem Nebel tauchen Konturen auf, vertraut und traut. Man kann der Erinnerung trauen, auf sie bauen.“(Deutschlandfunk, Hartmut Krug, 07.09.2015)
Felix selbst bezeichnet seine Rückkehr als Experiment. Der in dieser Rolle so schüchtern, hilflos agierende Nils Rovira-Muñoz scheint eigentlich eher von den Ereignissen mitgenommen, bleibt aber doch mit seltsam sturer Bewegungslosigkeit beim Vorsatz der Nachkriegsnormalität. Fürs Reflektieren und Zweifeln ist jemand anderes da: Der Puppenspieler Nikolaus Habjan als zweiter Felix. Es ist dies Erzähl-Ebene drei und gleichzeitig die größte Setzung des Abends. Felix als „Figur unter Figuren“: Da kommt Surrealismus auf. Adele Neuhauser als Baronin drängt Felix (Nils Rovira-Muñoz) zum Sex. Das weiße Bühnenungetüm fährt nach hinten weg, und vorne bleibt im Dunkel Habjan mit Puppe liegen. Er schildert seinen gleichzeitigen Willen und Widerwillen zur sexuellen Unterdrückung durch seine Beschützerin und lässt es durch Verrenkungen so wirken, als gebe es Sex zwischen ihm und der Puppe.(Nachtkritik.de, Theresa Luise Gindlstrasser, 05.09.2015)
Felix Golub ist überhaupt zweifach vertreten: In Gestalt des zarten, darstellerisch leider ziemlich blassen Nils Rovira-Munoz, sowie einer von Nikolaus Habjan gebauten und geführten Doppelgänger-Puppe, die ihre Kollegen aus Fleisch und Blut immer wieder an die Wand spielt.(Salzburger Nachrichten, 06.09.2015)
Am allermeisten zehrt der dreistündige Abend (mit Pause gerechnet) von der Doppelbesetzung des Felix Golub. Seiner Fleisch-und-Blut-Version (Rovira-Munoz) steht ein Erinnerungs- und Gewissens-Ich in Form einer Puppe zur Seite (von und mit Nikolaus Habjan). Ihm gelingen die stärksten Momente. Die Klappmaulpuppe wirft bedrückte Blicke auf das grobschlächtige Getriebe dieser Nachkriegsgesellschaft, die an ihrem Deserteur, dem Verräter und ausgemachten Feigling, noch weiter Rache zu nehmen gedenkt. Denn wer andere schlechtmacht, behauptet seine eigene Position als die richtige.(Standard, Margarethe Affenzeller,07.09.2015)
Zudem gibt es eine Verdoppelung des Protagonisten. Nikolaus Habjan spielt mit einer Golub-Puppe Szenen nach. Das ist fein. Er macht damit jedenfalls mehr Eindruck als Rovira-Muñoz, der allein sprechtechnisch von seiner Rolle überfordert scheint. (Norbert Mayer, Die Presse, 06.09.2015)
Magische Augenblicke gewährleistet auch der Puppenspieler Nikolaus Habjan mit einer lebensgroßen Marionette des Deserteurs Felix: Hier öffnet sich tatsächlich die Dimension zu Fritschs Kunstwelt. Dieses zweite Ich spielt allerdings den tadellos agierenden Hauptdarsteller Nils Rovira-Munoz an die Wand. (News, Heinz Sichrovsky, 06.092015)
Die Inszenierung kommt nicht so richtig in die Gänge, sie findet keine Struktur, die Figuren sind kaum differenziert. Die Idee, die Hauptfigur des einstigen Deserteurs zu verdoppeln, erweist sich als Segen, vor allem durch die von Nikolaus Habjan geführte Puppe, die eine Erzählfunktion erfüllt und eine Reflexionsebene einzieht.(Oberösterreichische Nachrichten, Reinhold Reiterer, 07.09.2015)