. . . Noch weniger Aufmerksamkeit wird den SchauspielerInnen bei Produktionen des 24-jährigen Nikolaus Habjan zuteil. In seinen Stücken spielen lebensgroße Klappmaulpuppen die Hauptrolle. "Puppentheater hat mich schon als Kleinkind unglaublich fasziniert. Das ist eine ganz eigene Art des Verzaubertwerdens", sagt Habjan . "Die Grenzen der Darstellung sind viel weiter gezogen als die des Schauspiels." So stirbt beispielsweise eine Puppe auf der Bühne viel authentischer, als es SchauspielerInnen darstellen könnten.
Im Wiener Schuberttheater, einem ehemaligen Pornokino an der Währinger Straße, hat Habjan eine Bühne für seinen Kindheitstraum gefunden. Mittlerweile erregen seine Stücke große Aufmerksamkeit. Zuletzt durch die Aufarbeitung der Lebensgeschichte von Friedrich Zawrel, der während des Zweiten Weltkriegs als Kind vom damaligen Anstaltsarzt Heinrich Gross misshandelt wurde.
Habjan hat sich monatelang mit Zawrels tragischer Lebensgeschichte beschäftigt: Denn Zawrel, der nach dem Krieg nie richtig auf die Beine kam, während Gross weiter praktizieren konnte, traf 1975 noch einmal auf seinen Peiniger. Der brachte mit einem negativen ärztlichen Gutachten Zawrel in den Häfen nach Stein. In einem Berufungsverfahren durfte Gross zwar "Kindermörder" genannt werden, seine Taten waren aber verjährt und politische Seilschaften schützten ihn vor weiteren Verfahren.
Die kleinen Theater sind künstlerische Biotope. Neben Schwanda und Habjan gibt es viele erfolgreiche Projekte von freien Künstlerinnen und Gruppen. Ein Problem haben sie alle: Die schwierige finanzielle Lage. Zwar werden in der Theaterstadt Wien Projekte abseits von Burgtheater und Josefstadt gefördert, rentabel ist es für die Künstlerinnen trotzdem selten. "Verdient habe ich an dem Projekt noch keinen Cent. Dennoch bin ich froh, dass ich aus wirtschaftlicher Sicht unvernünftig gehandelt habe, sonst hätte ich es gar nicht gemacht", sagt Schwanda.
Ähnliche Erfahrungen hat auch Habjan gemacht, der das Schubert Theater mittlerweile als Co-Direktor leitet: "Leicht ist es nicht, in Wien mit einem kleinen Theater zu bestehen. Immerhin müssen wir von unserer Kunst die Miete, den Strom und was wir zum Leben brauchen, bezahlen." Beide sehen aber auch die positiven Aspekte der freien Szene: "Da wir kein Geld haben, kann uns auch keiner sagen, was wir damit machen sollen", sagt Habjan. "Die kleinen Theater sind die Biotope, aus denen alles wächst. Ohne sie würde die Theaterlandschaft in Wien ganz anders aussehen", sagt Erich Sperger, künstlerischer Leiter des Palais Kabelwerk. . .
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Im September vorigen Jahres war es dann so weit: Nikolaus Habjan suchte den Kontakt zu Friedrich Zawrel. Dieser wohnt seit längerer Zeit in einem Pflegeheim in Wien Meidling. «Ein Puppentheater über mein Leben?» Große Skepsis vorerst von dessen Seite. Nach vorsichtiger Annäherung zwischen dem 83j-ährigen Friedrich Zawrel und dem 24-jährigen Nikolaus Habjan fiel dann bald der entscheidende Satz: «Niki, ich geb mein Leben in deine Händ’.»
Und ab da trafen die beiden einander über ein halbes Jahr einmal in der Woche . Im Pflegeheim, in Kaffeehäusern. «Es wurde eine Katharsis für mich. An diesen Begegnungen bin ich gewachsen», meint Nikolaus Habjan. Die Interviews montiert der Puppenspieler zu einem Text, den er gemeinsam mit seinem Kollegen, dem Regisseur Simon Meusburger, auf die Bretter des kleinen Theaters mit bloß 72 Plätzen bringt. Nur zwei Puppen tragen die Handlung: Friedrich Zawrel und Heinrich Gross. Nikolaus Habjan spielt sie beide. Er lässt – in Zeitsprüngen – verschiedene Episoden aus Zawrels Leben vor uns Revue passieren. Meist ist Nikolaus Habjan mit seinen Puppen auf der Bühne deutlich zu sehen. Bei einigen Szenen verhüllt er sich. «Sie sind mir zu brutal, zu entsetzlich, gehen mir zu nahe. Da muss ich mich – auch äußerlich – davon distanzieren.»
Und wie ließe sich der heutige Friedrich Zawrel beschreiben? Die Antwort kommt spontan, ohne Zögern. «Er ist offen und freundlich, eigentlich rührend, auf jeden Fall sehr sympathisch, nicht verbittert, nicht rachsüchtig. Er ist kein gebrochener Mensch. Er ist einfach großartig.»
Oft wurde Friedrich Zawrel zu Vorträgen in Schulen eingeladen. Als einer der allerletzten Zeitzeugen für die Verbrechen der Tötung «unwerten Lebens» während der NS-Zeit. «Da hält er sich ganz streng an sein vorgefertigtes Konzept», sagt Habjan. Jetzt kommen die Schüler_innen zu ihm ins Pflegeheim. «Ich mag die jungen Menschen», sagt Zawrel.
Und wird er zur Premiere ins «Schubert Theater» kommen? Zwei Tage danach hat er einen Termin im Parlament. «Ja, das schaut guat aus. Da muss ich halt gsund bleibn.»
Was erhofft sich das kleine engagierte Team für seine beeindruckende Arbeit?
«Dass viele, viele Leute kommen! Und dass sich nach der Aufführung einige über diesen tragischen Fall genauer informieren und ihre Zweifel und ihr Nachdenken nicht aufgeben.»
INFO
Das Figurentheaterstück «F. Zawrel – erbbiologisch und sozial minderwertig» ist noch viermal im April zu sehen: 14., 20., 21., 22., 23. 4. 2012.
Barbara Huemer 04/2012
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Friedrich Zawrel, Spiegelgrund-Überlebender, als Theaterfigur
Vor einem halben Jahr kam es zu einem folgenreichen Aufeinandertreffen in einem Meidlinger Pflegeheim. Der 24-jährige Nikolaus Habjan machte dem 83-jährigen Friedrich Zawrel einen Vorschlag, der Letzterem zunächst nicht ganz geheuer war: «Was? Ein Puppentheater über mein Leben?»
Barbara Huemer 06.04.2012
Wir wissen, worum es geht: um das Leben von Friedrich Zawrel, um dessen misshandeltes Leben, ein Leben, das in die tödlichen Mühlen der nationalsozialistischen Psychiatrie geraten war und das sich auf Grund medizinischer Gutachten aus dieser Zeit nicht mehr davon befreien konnte. Auch nicht Jahrzehnte nach dem Ende des Krieges. Der Befund «erbbiologisch und sozial minderwertig» bestimmte auch nach seiner geglückten Flucht vor der Tötung aus der Anstalt am Steinhof – «Am Spiegelgrund» hieß sie damals – sein Leben bis 1981. Dieses Gutachten war u. a. direkte Folge für Zawrels Aufenthalte in geschlossenen Anstalten, 13 Jahre lang . Und diesem Leben gegenüber steht das andere Leben, das Leben eines überzeugten Nationalsozialisten mit einer glanzvollen Karriere als Psychiater am Steinhof, als viel beschäftigter Gerichtsgutachter, renommierter Hirnforscher, dem 1975 das Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse verliehen wurde und dem es gelang – mit Hilfe eines gut funktionierenden Netzwerkes in politischen und wissenschaftlichen Kreisen – nie für seine mörderische Vergangenheit verurteilt zu werden: Heinrich Gross.
Er starb 2005, war nicht zur Rechenschaft zu ziehen wegen angeblicher Demenz. Heinrich Gross und Friedrich Zawrel begegneten einander schicksalhaft mehrmals in ihrem Leben. Es geht also um zwei Leben, deren Verlauf nicht widersprüchlicher, nicht unterschiedlicher sein könnte.
An die Darstellung dieser beiden Biografien auf den Brettern eines kleinen Hinterhoftheaters wagt sich ein junges, engagiertes Team. Nein, es geht um viel mehr als um ein Wagnis. Ein moralisches Anliegen treibt die Gruppe an und motiviert sie, die Begegnungen zwischen diesen beiden Menschen in ihrer schrecklichen Verstricktheit uns noch einmal vor Augen zu führen.
Nikolaus Habjan, der Leiter dieses Projekts, ist heute 24 Jahre jung. Er hörte, als er dreizehn war, zum ersten Mal in der Schule von den Prozessen, die in den späten 70er und frühen 80er Jahren um Heinrich Gross stattfanden, wegen dessen Tätigkeit während des Krieges in der psychiatrischen Anstalt für Kinder «Am Spiegelgrund». Ab da ließ ihn das Thema, wie weit die Medizin in ihren wissenschaftlichen Forschungen gehen darf, nicht mehr los.
Nikolaus Habjan ist Puppenspieler, lernte in einem Workshop 2003 bei einem australischen Lehrer das künstlerische Handwerk, Puppen zu «bauen». Er schreibt Texte für sein Figurentheater auf kleinstem Raum. Jetzt steht die 7. Produktion bevor. Im «Schubert Theater» auf der Währinger Straße 46. Es ist tatsächlich ein Hinterhoftheater, ehemals Kino, in den 70er Jahren eines der meist besuchten Pornokinos von Wien. Hier trat auch Cissy Kraner als junge Soubrette auf.
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Der wahre Star des Abends war dabei keiner der fünf eingebundenen Burgschauspieler – sondern eine Puppe. “The worst was this, my love was mydecay”: Wenn die von Nikolaus Habjan grandios geführte Puppe als Dichter Shakespeare theatralisch in der Stimme von Nicholas Ofczarek das soeben von Riedel vorgetragene Sonett Nr. 80 rezitiert, klingt es beinahe falsch. So natürlich und sinnlich mutete zuvor die musikalische Vertonung an, als sei sie von Shakespeare einst ebenso intendiert gewesen. Meist melancholisch und romantisch,mal pop-lastig beschwingt und dann mit französischem oder südländischem Einschlag gestaltet Riedel am Flügel seine melodiöse Liebeslyrik, mit der er schonMatthias Hartmanns Inszenierung von “Was ihr wollt” Ende 2010 atmosphärisch begleitete .
Zurecht widmete Burg-Direktor Hartmann gemeinsam mit Michael Schachermaier dem Konzept nach einem gelungenen Auftritt beim Saisonauftaktkonzert vergangenes Jahr nun einen eigenen Abend. Erneut ihre besondere Note beisteuernd und mit Riedel am Flügel einen Halbkreis bildend: die SüdtirolerMusikbanda Franui in verkleinerter Besetzung samt Streichern, Bläsern, Harfe und volksmusikalischen Instrumenten. Neu dabei und wechselnd aus dem schweren,roten Vorhang hinter den Musikern hervortretend: Ensemblemitglieder des Hauses,die die Musiker mal gesanglich, mal szenisch unterstützten.
Nicht immer fehlerfrei, dafür passend besetzt gestalteten sich die Einsätze: DörteLyssewski überzeugte mit der kräftigsten Stimme, Nicholas Ofczarek mit einem Ausflug in den Wiener Dialekt, Johannes Krisch als Sänger mit diabolischem Charme und Sunnyi Melles erst als Königin Elisabeth I., dann als den 20er Jahren entsprungene Balladen-Diva. Der komödiantische Höhepunkt wurde Tilo Nest zuteil, der stimmlich die Puppe bei deren Nachstellung von vier großen Shakespeare-Toden unterstützte – vom hastig erstochenen, nach Luft ringendenJulius Cäsar bis zur verzweifelt säuselnden, schmachtenden Julia.
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