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„Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos“

Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos

 

von Werner Schwab

Akademietheater Wien, Premiere 29.11. 2018

Regie: Nikolaus Habjan

Bühne: Jakob Brossmann

Kostüme: Cedric Mpaka

Puppendesign: Nikolaus Habjan

Puppenbau: Nikolaus Habjan / Marianne Meinl

Musik: Kyrre Kvam

Licht: Norbert Piller

Video: Sophie Lux

Dramaturgie: Hans Mrak

 

Mit Dorothee Hartinger (Frau Wurm), Nikolaus Habjan/ Manuela Linshalm (Herrmann Wurm), Sarah Viktoria Frick (Herr Kovacic, Desiree), Alexandra Henkel (Frau Kovacic, Bianca), Barbara Petritsch (Frau Grollfeuer)

 

Interviews

 

Interview Norbert Mayer, Die Presse, Feuilleton, 27.11.2018

 

Was hat Sie an dem wortmächtigen Skandalautor der Fäkaliendramen gereizt, der 1994 mit 35 Jahren gestorben ist?

Schwab mag ich einfach. Und seine Witwe, Ingeborg Orthofer, hat mich gefragt, ob ich mit vorstellen könne, diesen Kosmos mit meinen Puppen zu erzählen…Wie bei Nestroy muss man mit seiner Sprache musikalisch umgehen.

Sie haben auf den kleinsten und größten Bühnen gespielt. Was ist für Sie und Ihre Puppen die ideale Größe?

Das Akademietheater ist für mich perfekt. Vom hintersten Stehplatz aus ist alles genau zu sehen und zu hören, Bei größeren Bühnen müssen die Puppen lebensgroß sein. Wichtig ist dafür auch das Licht. Der Fokus, den die Puppe erzeugt, ist immer größer als der eines gleich großen Menschen.

 

Worin liegt das Geheimnis, dass man bei guten Puppenspielern sofort deren Anwesenheit vergisst und auf der Bühne nur noch die Puppe sieht?

Indem man von Anfang an alles preisgibt. Ich verstecke mich nicht. Alle wissen sofort, wie es gemacht wird, wenn ich in die Puppe schlüpfe. Die Frage, wie das funktioniert, wird dann so banal, dass sie für den Zuschauer keine Rolle mehr spielt.

Wie schwer ist denn solch eine tragende Rolle mit einer Puppe?

Die hier (Herrmann) hat drei Kilogramm. Das Gewicht belastet vor allem den Daumenmuskel. Am nächsten Tag hat man schon Verspannungen. Für Schauspieler ist das eine Herausforderung.

 

 

 

Bericht Michaela Ernst, Die Bühne, November 2018

 

Die Idee, Werner Schwab mit Nikolaus Habjan zusammenzuspannen, hatte interessanterweise dessen Witwe. Sie schrieb Habjan an, ließ ihn wissen, dass sie seine Puppen toll fände, und würde sich daher wünschen, diese in Verbindung mit einem Schwab-Stück zu sehen. „Mich hatte dieser Schwab-Kosmos schon davor sehr fasziniert, denn ich finde, dass meine Puppen dessen Welt gut abbilden:“…“Die Puppen kann man in aller Ungefiltertheit sprechen und agieren lassen.“…das Hässliche wird hier durch die Puppen abgelöst, deshalb wird es stärker sichtbar.

Für die Schauspieler ist es eine Premiere, auf der Bühne dermaßen multitaskerisch zu agieren.Doch die Technik sei rascher zu beherrschen, als man meint..“Es ist, als ob man Radfahren lernen würde, die erste Woche verläuft richtig hart, weil die Puppen natürlich ihr Gewicht haben, obwohl ich mich bemühe, sie so leicht wie möglich zu bauen.“ Die ersten Proben finden vor einem Spiegel statt, doch schon beim zweiten, dritten Zusammenkommen entwickle sich ein Spannungsbogen zwischen Akteur und Puppe.Dadurch ergeben sich später dann, wenn das Stück elaboriert und der Öffentlichkeit zugänglich ist, für den Zuseher reizvolle Momente. „Man hat diese drei Ebenen: die Schauspielerin, die Puppe und die Beziehung zwischen den beiden“.

Habjans charaktervolle, hässlich-schöne Figuren sind wie geschaffen für Radikalinhalte vom Format eines Werner Schwab.

Wenn ich Menschen dazu bringen will, sich auf ein brutales Thema einzulassen, komme ich ihnen mit Humor. Der Humor ist die Injektionsspritze, die mit Schwerem gefüllt ist. Oder ich verpacke es in ein Stück Torte. So geht es mir beim Theater.“

 

 

 

Interview Thomas Trenkler, Kurier, 29.11.2018

 

Der „Grazkünstler“Herrmann dürfte das Alter Ego von Schwab sein. Sieht die Puppe dem Dramatiker ähnlich?

Auch sie hat rötliche Haare und ist recht groß, also bedrohlich. Aber ich habe nicht versucht, Schwabs Gesichtszüge zu kopieren.

Sind Ihre Puppen Kunstwerke?

Ich sehe sie wie kostbare Instrumente. Man muss sorgsam mit ihnen umgehen.

 

 

 

Interview Werner Krause, Kleine Zeitung, 25.12.2018

 

 

Nicht selten heißt es, Schwab und sein Stück seien antiquiert. Obwohl er The­men wie Alt- und Neo-Faschi­mus, Intoleranz oder die Kategorisierung in Herren- und Untermenschen aufgreift. Grenzen solche Missachtungen nicht an glatten Hohn?

 

Ich sträube mich gegen die Unterschätzung des Publikums. Das sind ja keine Trotteln. Genauso ist es mit dem Argument, Schwab sei antiquiert. Wenn man sich die Mühe macht, genau zu lesen, findet man heraus, wie aktuell die Texte sind. Zum Beispiel: „Wer kein eigenes Lebenseigentum haben kann, der wird von Europa in eine ganz andere Welt geschmissen. Das weiß ein jeder, der eine Beobachtung hat.“ Dieser kleine Satz löst in meinem Kopf eine Fülle an Assoziationen aus, alle verknüpft mit heutigen Umständen.

 

 

Was hat das Puppenspiel dem „Menschentheater“ voraus? Ein Grund ist zweifellos die direkte Art, mit der Puppen unbequemste Wahrheiten sagen. Ein anderer wohl, dass sie das wahre Gesicht einiger Menschen zeigen – die Fratze.

 

Absolut. Aber auch wenn es um reale Persönlichkeiten geht, wie Friedrich Zawrel, Michael Jackson oder Karl Böhm. Da sind Puppen klar im Vorteil. Puppen sind die effektivsten Projektionsflächen. Sie ziehen etwas aus unserem Innersten heraus und werfen es uns ins Gesicht.

 

 

Ihre Puppen sind meist dämonisch. Können Sie sich überhaupt von ihnen lösen oder verfolgen Sie manche bis in den Schlaf?

 

Ich kann mich sehr gut von ihnen lösen. Einmal abgelegt, geben sie Ruhe. Mir hilft es, sie nicht als Lebewesen zu sehen, sondern eher wie eine kostbare Geige.

 

Gibt es eine Lieblingspuppe?

 

 

Ich mag sie natürlich alle, aber am liebsten ist mir die Puppe Friedrich Zawrels. Mit ihr verbinde ich so viele wertvolle Erinnerungen und Erfahrungen….

 

 

Kritiken

 

Eigentlich fast eine Uraufführung: Werner Schwabs „Volksvernichtung“ wurde im Wiener Akademietheater von Nikolaus Habjan grandios als Puppentheater in Szene ge­setzt. Eigentlich sind es ja schon liebe alte Bekannte, die sich da im Wiener Akademietheater ein Stelldichein geben. Allen voran der klumpfüßige Maler Herrmann Wurm, dem Werner Schwab ein reichlich autobiografisches Korsett verpasste. Natürlich auch seine grenzenlos verbitterte Mutter und die restlichen Bewohner des desolaten Gemeindebaus, deren Leben sich primär auf den Austausch von Gemeinheiten, Beschimpfungen und deftigen Obszönitäten be­schränkt.

Aber immerhin haben all die Geschöpfe, die Werner Schwab mit seiner „Volksvernichtung“ in die Bühnenwelt entließ, auch schon runde 27 Jahre und etliche höchst konträre Inszenierungen auf dem Buckel. Ehe nun der geniale Großmeister des Puppenspiels, Nikolaus Habjan, in seiner Deutung des düstergrotesken Sittenbildes, das ohnehin aus jedem Rahmen fällt, einen ebenso faszinierenden wie naheliegenen Neuzugang wählt. Denn längst schon hat es sich herumgesprochen, dass die Figuren von Werner Schwab – diesem Bühhnemkometen, zum raschen Verglühen bestimmt – lediglich Sprechkörper sind. „Die Sprache zerrt die Personen hinter sich her: wie Blechbüchsen, die man bei einem Hundeschwanz angebunden hat“, so lautete der Leitsatz des Sprachberserkers, der sich durch alle seine Stücke zieht.

Logische Konsequenz: Nikolaus Habjan, der auch Regie führt und selbst mit großartiger sprachlicher Intensität den Part von Herrmann Wurm übernimmt, verschanzt die Menschen hinter dämonischen Puppen und Plappermäulern. Eine Gruselgruft im Puppenheim. Die Sprache, für Schwab ohnehin auch nur ein gesprochener Spuk, wird endgültig zur Kunstkopfgeburt…Das Schwab’sche Umkehrprinzip zeitigt Wirkung. Mitunter könnte man glatt meinen, im Saal sei eine Welt der Masken und oben auf der Bühne die unverlarvte, wahrhaftige Welt, deren Menschen nur spielen, was sie sind. Plappernde, wortverdrehende Spielfiguren und Fratzen. Sie wissen’s nicht, sie ahnen’s kaum. Ein Prunkstück, eine große Schwab-Huldigung. (Kleine Zeitung, Werner Krause, 01.12.2018)

 

 

 

Nikolaus Habjan zaubert mit vier Schauspielerinnen und sechs Klappmaulpuppen. Werner Schwabs Radikalkomödie wirkt wie eine Mutation von kaltem Naturalismus. Barbara Petritsch agiert darin als furiose Rachegöttin…Und wie ist es mit der vulgären Sprache, den traurigen minimalen Handlungen und argen Misshandlungen bei Schwab? Wenn Puppen ordinär sind und brutal, weiß man doch: alles nur Spiel und Spaß, alles nicht ernst gemeint. Oder? Die Qualität der streng komponierten Inszenierung besteht auch darin, dass sich hier der Text trotz Klappmäulern wie unverstellt entfaltet. Er spukt noch im Kopf, wenn der kurze finale Akt längst zu Ende ist, der angeblich Versöhnung bringt.

 (Die Presse, Norbert Mayer,30.11.2018)

 

 

 

 

Regisseur Habjan – der gemeinsam mit Marianne Meinl für den Puppenbau verantwortlich ist und als Hermann auf der Bühne steht – lässt die Klappmaulpuppe unschuldig schauen. Das Riesen-Baby mit Klumpfuß träumt vom Töten der Mutter. Deren duldsamer Katholizismus steht Dorothee Hartinger in die Kleiderschürze geschrieben. Die Hände der Puppe faltet sie brav im Schoß. Einem kaputten Teller weint sie zu Klavierklängen nach.

Zwischen Frau Wurm und Hermann gehen die schwabisch-brutalen Gehässigkeiten hin und her…Habjan erzählt anhand der „Volksvernichtung“ die Tragödie der Entstehung des Faschismus aus dem Geiste der Vernachlässigung. Mit viel Sympathie für Frau Grollfeuer.

(Nachtkritik, Theresa Luise Gindlstrasser, 29.11.2018)

 

Die Puppen eignen sich für Schwabs Text ausgesprochen gut. Die Figuren (gestaltet von Habjan und Marianne Meinl) sind außen so hässlich wie innen – Hermanns Gesicht sieht etwa aus wie Prügelmus, Frau Kovacic wie eine verweste Pamela Anderson. Die künstliche Sprache Schwabs, in der sich Lebenswünsche und Leberwürste gleichwertig treffen, bohrt sich aus dem Mund dieser monsterhaften Menschenimitate noch stärker in den Magen. Gleichzeitig bekommen bösartig-witzige Momente eine nahbare Ebene. Die Bühne von Jakob Brossmann sperrt die Puppenspieler in eine Plastikblase, die die Frau Grollfeuer erst betritt, nachdem sie sich der liederlichen Last entledigt hat – ein beeindruckendes Bild. (Wiener Zeitung, Christina Böck, 30.11.2018)

 

Keine Menschen also, sondern Fratzen, und hier scheinen zum ersten Mal die Fratzen-Puppen des Nikolaus Habjan zu passen, in die er alle Beteiligten außer Frau Grollfeuer kleidet (obwohl die ja auch nicht übertrieben viel Menschliches an sich hat). (Der Merker, Renate Wagner, 30.11.2018)

 

 

 

Es war schon immer schwierig, für dieses artifizielle, perfekt komponierte, einzigartige „Schwabisch“ auf der Bühne wirklich (ent)sprechende Bilder zu finden. Der junge Regisseur Nikolas Habjan hat es jetzt im Wiener Akademietheater (der kleinen Bühne des Burgtheaters, es ist sein Debüt dort) mit Puppen versucht und vermeidet es somit gekonnt, die Schwabschen Personen, die sich ohnehin durch ihr Gesagtes entlarven und selber schwer belasten, noch einmal als Karikaturen ihrer eigenen Unzulänglichkeit vorzuführen.

Zwar haben auch die von Habjan und Marianne Meinl geschaffenen lebensgroßen Figuren etwas extrem Fratzenhaftes, aber in der grotesken Überzeichnung ihrer markanten Makel werden sie zu irgendwie nicht ganz greifbaren Wesen, denen ja naturgemäß die selbstständige Artikulation abgeht, und agieren wie eine Art Vermittler nun zwischen den Wörtern und Sätzen und uns, die wir ihrem Tun und vor allem Lassen immer noch entsetzt und angeekelt folgen. (Der Spiegel, Bernd Noack, 30.11.2018)

 

 

Habjan ist ein raffinierter Puppenspieler, das lässt sich auch dieses Mal beobachten, er verschwindet komplett hinter der Figur des klumpfüßigen Herrmann (Falter, Sarah Schausberger, 5.12.2018)

 

 

 

Nicht Kinderkasperltheater, auch nicht das Marionettentheater, nein (fast) lebensgroße Oberkörper-Klappmaulpuppen, die, wenn gut geführt, nach wenigen Augenblicken für das Publikum mit dem Puppenmeister zu einer lebendigen Einheit verschmelzen, führen Habjan und seine Mitstreiter auf die Bühne… (Frankfurter Allgemeine Zeitung, Martin Lhotzky, 4.12.2018)

 

 

 

„Volksvernichtung“ ist ein Selbstporträt: Schwab, ein fast zwei Meter großer Hüne, entstellt sich da zum verkrüppelten Maler Herrmann, einem Halbkretin, der mit der Mutter im Sozialbau vegetiert. Diese Gestalt hat Habjan mit überzeugendem Resultatsich selbst vorbehalten: Er animiert als einziger männlicher Mitwirkender eine seiner hypnotischen Klappmaulpuppen…Ein nachdrücklicher, suggestiver Abend außer aller Norm.(Krone, HS, 1.12.2018)