Schauspiel von Gotthold Ephraim Lessing
Volkstheater Wien, Premiere 07.04.2017
Inszenierung: Nikolaus Habjan
Puppendesign: Nikolaus Habjan
Puppenbau: Nikolaus Habjan / Marianne Meinl
Bühne: Jakob Brossmann und Denise Heschl
Kostüme: Denise Heschl
Licht: Paul Grilj
Dramaturgie: Heike Müller-Merten
mit Gábor Biedermann (Sultan Saladin), Günter Franzmeier (Nathan, ein reicher Jude in Jerusalem), Katharina Klar (Recha, dessen angenommene Tochter), Steffi Krautz (Sittah, dessen Schwester), Christoph Rothenbuchner (Ein junger Tempelherr), Claudia Sabitzer (Daja, Gesellschafterin der Recha), Stefan Suske (Ein Klosterbruder)
Kritiken
Für Habjan spielt eine große Rolle, dass Lessing Freimaurer war: „Nathan verkörpert den Meister, Saladin den Gesellen, der Tempelherr den Lehrling.“ Lessing wollte auch die Aufklärung mit seinem Werk transportieren, etwa die Figur des Klosterbruders, der sich von seinem Chef, dem Patriarchen, distanziert und gegen das System stellt. Patriarch, Tempelherr und Daria, Rechas christliche Gesellschafterin, wirken fundamentalistisch. (Presse, Kulturmagazin, Barbara Petsch, 21.10.2016)
Das zweite Problem, das Nikolaus Habjan mit den zuletzt gesehenen Nathan-Inszenierungen hat, läuft darauf hinaus, dass es immer so als „Stück zum Abnicken der Botschaften für eine bessere Welt abläuft als Wohlfühltheater ohne Irritationsfaktor. Aber ich will jetzt auch nicht den Holzhammer auspacken und brutales Thesentheater daraus machen. Nein, ich bin im Internet auf Bilder aus Aleppo oder Homs in Syrien gestoßen, wo ein Hochzeitspaar, sie voll kitschig in Weiß, er in Kampfuniform, vor der Kulisse einer total zerbombten Stadt posiert. Diese Bilder haben mich auf den Gedanken einer anderen Ausgangssituation für Nathan gebracht. Als er zu Beginn des Stückes von seiner Geschäftsreise zurückkommt, ist nicht nur sein Haus abgebrannt, sondern die ganze Stadt ist zerstört, Apokalypse now, alle sind tot, und daraus entwickelt sich Nathans Phantasie eines Lehrstücks der Humanität. Und daraus ergibt sich auch die Möglichkeit, Puppen ins Spiel zu bringen. Da kann zum Beispiel der Derwisch als Alter Ego Nathans auftreten mit einer Puppe, die das Gesicht Günter Franzmeiers trägt und so anzeigt, dass es sich eigentlich um einen Dialog Nathans mit sich selbst handelt. Und dann stellt sich auch nicht mehr das Problem mit dem unmöglichen Happy End, weil ja alles nur ein Hirngespinst Nathans ist.“ (Die Bühne 4 /2017, Lothar Lohs)
Profil: Sie haben am Wiener Volkstheater soeben Lessings Toleranz-Stück „Nathan der Weise“ inszeniert. Stört es Sie nicht, dass es sich dabei um klassische Schullektüre handelt?
Habjan: Ganz im Gegenteil! Ich erinnere mich, wie es mir in der Schule ergangen ist: Was nervte mich? Was gefiel mir? Ich möchte den „Nathan“ für Schüler spannend machen. Meine Inszenierungen sollen ein bisschen wie eine Einstiegsdroge wirken. Die Jugendlichen sollen denken: das war gar nicht so schlimm, Theater ist also nicht fad.
Profil: Ist der Glaube an die Aufklärung heute noch präsent?
Habjan: Lessing bietet ja keine Lösungen an. Er stellt eine böse Frage in den Raum: Gibt es eine richtige Religion? Lessing war ein Streiter, er diskutierte gern. Er meinte, man müsse infrage stellen dürfen, ob Jesus auferstanden sei oder nicht.
Profil: Lessing wollte mit seinem Stück gar nicht aufklären?
Habjan: In einem Brief kurz vor seinem Tod schrieb er, er glaube nicht, dass es „Nathan“ auf die Bühne schaffen werde. Der Stoff sei zu brisant, und ihn würde freuen, wenn ein einziger Leser nach der Lektüre seine eigene Religion infrage stellte. Lessings Ziel war, dass Menschen nicht höheren Mächten vertrauen, sondern zweifeln, über sich selbst nachdenken.(Profil, Karin Cerny, 10.04.2017)
In einer höchst schlüssigen Regie von Nikolaus Habjan tritt der in Jerusalem als weise und reich bezeichnete Jude zu Beginn mit einem Koffer vom Zuschauerraum auf die Bühne. Dort blickt er am eisernen Vorhang hoch, stützt sich mit ausgebreiteten Armen gegen ihn und lässt spüren, dass er weiß, welches Ungemach ihn gleich erwarten wird… Anders als bei Lessing macht Habjan die Katastrophe sichtbar und lässt den vor Schmerz brüllenden Mann die Überreste seiner Familie mit weißen Leichentüchern bedecken… Der hartherzige, entmenschlichte, greise Patriarch von Jerusalem – von Habjan geschickt in Puppenform mit überdimensionalen Spinnenfingern und einbandagierten Händen dargestellt – wird aus seinem Haus, einer Festung, im Rollstuhl ganz vor an die Bühnenrampe geschoben, sodass seine Worte suggestiv und eindringlich ins Publikum schwappen. .. Habjan wäre nicht Habjan, hätte er sich mit einer einzigen Puppenfigur zufriedengegeben. Er stellt seinem Nathan ein Alter Ego zur Seite, das es ermöglicht, seinen inneren Dialog anschaulich mitzuverfolgen. Die innere Stimme, wer kennt sie nicht, ist für Nathan, den Denker, der sich nur auf seine eigene Kraft und Intuition, auf seine eigene soziale Geschicklichkeit und Schläue verlassen kann und will, überlebensnotwendig. Erst, als „der Knoten gelöst ist“, er die familiären Zusammenhänge niederschreibt und damit alle Beteiligten von Unschuld aber auch Schuld befreit, verschwindet sein zweites Ich. In Habjans Version ist es Nathan selbst, der die Genealogie von Rachel und ihrem Retter verschriftlicht, ob er sie dabei aus dem Arabischen übersetzt oder seine eigene Fassung zu Papier bringt, bleibt dabei offen… Habjan schafft den Spagat, mit dem Originaltext von Lessing eine Brücke ins Heute zu schlagen, ohne dabei die Lessing´sche Grundidee der Religionsegalität zu demontieren. Eine wunderbare Idee ist die unaufdringliche Übertitelung in Englisch und Arabisch. Dass sich viele junge Menschen unterschiedlicher Herkunft und geprägt von unterschiedlichen Religionen dieses Stück ansehen, ist zu wünschen. (European Cultural News, Michael Preiner, 08.04.2017)
Es gibt Theaterabende, an denen stimmt einfach alles, und am Freitag hatte man das Glück, bei einem solchen dabei zu sein. Nikolaus Habjan inszenierte am Volkstheater Lessings „Nathan der Weise“, und wie wunderbar, der junge Theatermacher und Puppenmagier hat es nicht Not, irgendwas irgendwo drüberzustülpen. Er erzählt eine Geschichte. Klar, im positivsten Sinne „einfach“ und konsequent durchdacht…. Lessings Ideendrama wird als das humanistische Werk gelesen, als der aufklärerische Appell für Gedankentoleranz. Und da sitzt ein Gottesmann mit böse blitzenden Augen, abstinent gegen alle Argumente, und hat für Nathan immer nur den einen Glaubenssatz: „Tut nichts, der Jude wird verbrannt!“ Es gruselt einen vor der Grausamkeit der Puppe, deren Präsenz in diesen Augenblicken übermächtig, übermenschlich sowieso ist. Nikolaus Habjan holt das Publikum mit seinem düsteren „Nathan“ aus der Klassiker-Wohlfühlzone, er entzieht ihm die Möglichkeit des simplen Abnickens von Lessings froher Botschaft. Der Jude mit dem „Judenkoffer“, die Leben nur noch Schutt und Asche, das sorgt für Assoziation und Irritation. Draußen vorm Theater wurden all diese Anmerkungen Habjans laut weitergedacht, da hatten sich der Regisseur, sein Team und die fulminanten Schauspieler den tosenden Applaus aus dem Zuschauerraum aber schon abgeholt.
(Bühne, Michaela Mottinger, 08.04.2017)
Indessen bekommt der Patriarch von Jerusalem Wind von der Glaubensverfälschung. Der Hardliner wird von drei Ensemblemitgliedern als Ganzkörperpuppe im Rollstuhl gespielt – einer der spannendsten Momente der Aufführung. Die für Nikolaus Habjans Puppenbau typischen funkelnden Augen blitzen mit den um den Hals hängenden schweren Kreuzketten um die Wette.
(Standard, Margarete Affenzeller, 09.04.2017)
Auf einer Drehbühne – die Schäden diverser brutaler Kriegshandlungen sind sichtbar – siedelt Habjan die Geschichte rund um den Juden Nathan, den Muslim Saladin sowie den christlichen Tempelherrn an. Denise Heschl und Jakob Brossmann halten ihr Bühnenkonstrukt in ständiger Bewegung; die Kostüme (ebenfalls Heschl) suggerieren einen diskreten Gegenwartsbezug.
(Kurier, Peter Jarolin, 09.04.2017)
„Nathan der Weise“ ist ein Stück des Zorns, nicht der Versöhnung…Nikolaus Habjan dringt im Volkstheater ans Herz des epochalen Werks vor…Dass sich am Schluss alles in Verzeihen wendet, spottet jeder Realität. Deshalb bedient sich der Regisseur und Puppenmeister Habjan eines Tricks, ohne am Text zu manipulieren. Einerseits ist die Aufführung im besten Sinn konservativ gearbeitet. Die Geschichte wird spannend erzählt, die sehr guten Schauspieler agieren auf der Höhe ihres Könnens. Andererseits zieht Habjan eine zweite Ebene ein, die sich bis zum eindrücklichen Finale zusehends enträtselt: Die Gestalten sind Kopfkonstrukte, die sich Nathan geschaffen, um das Erlittene ertragen zu können…Aus Trümmern, die ohne Aktualisierungsbanalität des heutigen Syrien zitieren, ersteht ein Nachtstück, eine Gespenstersonate von enormen Sog. (Krone, Heinz Sichrovsky, 08.04.2017)
Sein (Nathan) wichtigster Gesprächspartner dieses Abends ist eine Puppe, Nathans Alter Ego. Man könnte glauben, all seine Reden über das Wahre, Gute, Humane hätten sich nur im Kopf abgespielt, die Welt wäre bereits verloren. Der Schluss wirkt nicht versöhnlich, sondern nihilistisch. Franzmeier spielt das fanastisch. …Die Szenen mit den von schwarz verhüllten Schauspielern geführten Puppen sind zentral. Wie Todesengel wirken sie- auch als Symbol für einen Verlust, der im Drama nebenbei erwähnt wird: Sieben Söhne und seine Frau hat Nathan einst verloren. Christliche Fanatiker haben sie ermordet. An diesem Pogrom, eine der vier Vorgeschichten, wird am Ende eindringlich erinnert. Nathan steht alleine da. Graue Asche rieselt herab. (Presse, Norbert Mayer, 09.04.2017)
Ensemble hin – Regie her! Also sprang der Puppenbauer und -spieler Nikolaus Habjan, 29, als Nothelfer ein. Nichts leichter als den Patriarchen – der in Lessing Toleranzdreier das Pummerl hat – als Klappmaulpuppe im Rollstuhl auf die Bühne zu schieben: ein greiser Fanatiker mit Raubvogelgrimasse und toten Augen. Die Intervention geriet fein, doch blieb sie eher aufgesetzte Koloratur als innere Notwendigkeit. (Wiener Zeitung, 08.04.2017)
Nathan erfährt durch eine Puppe zeitweise eine Verdopplung. Geschickt wird dadurch seine innere Zerrissenheit und Hadern mit den getroffenen und zu treffenden Entscheidungen nach außen getragen. (Kleine Zeitung, Nikolaus Täuber, 08.04.2017)
Die Botschaft von Missbrauch von Gottes Namen vermittelt diese Produktion aber schon. (Kleine Zeitung, Reinhold Reiterer, 09.04.2017)
Habjan lässt die erschreckende Aktualität von Lessings „Nathan“ wirken. Und sie wirkt Am Volkstheater kommen nun nur zwei Puppen zum Einsatz, und zwar in gegensätzlicher Funktion. Der Jude Nathan erhält ein zweites Selbst sozusagen als einzigen Freund, denn mit allen anderen ist keine Kommunikation auf Augenhöhe möglich, oder er muss sie fürchten. Günter Franzmeier hat weniger den Weisen, Aufgeklärten zu spielen, als den Getriebenen, Vertriebenen bzw. Einsamen. In der Umgebung Nathans wird Toleranz und Vernunft entweder gänzlich abgelehnt oder nur in Ansätzen gelebt. Dazu brauchen Habjan und seine Ausstatter auch keine Soldaten oder Generalsuniformen, Funktion und Status werden beim Tempelherrn oder dem Sultan angedeutet. Der Patriarch als eigentlicher Fundamentalist taucht nur als Puppe auf, die von den Darstellerinnen der Sittah, der Daja und der Recha geführt wird… Habjan lässt große Gesten zu, besteht aber auf exakt ausbalanciertem Artikulieren, wehrt damit Pathos ab und bringt das Stück zur Wirkung.
(Vorarlberger Nachrichten, Christa Dietrich, 09.04.2017)
Für Regisseur Nikolaus Habjan ist Nathan ein Einsamer, der am Ende als einziger überlebt: Statt der von Lessingintendierten – finalen Harmonie und Utopie der friedlichen Verständigung gibt`s zuletzt nur Tote. Immerhin: ein griffiges Theaterbild!(Kronenzeitung, Oliver Lang, 09.04.2017)
Nathan erfährt durch eine Puppe zeitweise eine Verdopplung. Geschickt wird dadurch seine innere Zerrissenheit und Hadern mit den getroffenen und zu treffenden Entscheidungen nach außen getragen. So erstaunlich übernahe am Menschen Habjans Puppen im Zusammenspiel mit ihren Spielern oft sind, legt er diesmal den einzigen reinen Puppencharakter betont entrückt an. Der christliche Patriarch von Jerusalem spricht zwar subversiv mit weiblicher Stimme, sein abgehackt vorgetragener Text und Habitus sind jedoch unerbittlich. Das passt in den Abend, an dem die wenigen Lacher fast ausschließlich auf Kosten der Kirche gehen.(Salzburger Nachrichten, 17.04.2017)
Die Schauspieler schmeißen sich voll rein ins pathetische Spiel, ebenso die- für Habjan erstaunlich wenigen, nämlich zwei- gewohnt gut gebauten und gelenkten Puppen: der Patriarch im Rollstuhl und ein Franzmeier-Imitat, das Nathans Gedanken wiedergibt und auch die geniale Idee hat, dem Sultan eine Ringparabel vorzusetzen. (Falter 15/17)
Der wahre Schauplatz der Ereignisse ist das Innere von Nathans Kopf. Der jüdische Kaufmann hat sich dort ein Wahnbild gebaut – ein Weltmodell des Verzeihens und der friedlichen Koexistenz der Religionen, um ertragen zu können, was die Mörderbande im Namen Gottes angerichtet hat:
Nathan erfährt durch eine Puppe zeitweise eine Verdopplung. Geschickt wird dadurch seine innere Zerrissenheit und Hadern mit den getroffenen und zu treffenden Entscheidungen nach außen getragen…Ohne ein Wort des Textes zu verändern, befreit der erst 29-jährige Wundermann das Stück von einer Aufführungsgeschichte voller Verlogenheiten…Das Happy End habe er jetzt neutralisiert, ja: in sein Gegenteil verkehrt, erläutert Habjan. Am Ende steht ein mächtiges Totengebet, das sich aus der Ritualistik dreier Weltreligionen speist. (News, Heinz Sichrovsky, 12/2017)
Wirkliches Schauspielertheater wird oft als konservativ abgetan. Welche Kraft es entwickeln kann, zeigte der österreichische Regisseur und Puppenspieler Nikolaus Habjan bei Gotthold Ephraim Lessings „Nathan der Weise“. Ein hervorragendes Ensemble, allen voran Günter Franzmeier in der Titelrolle, unterstützt von Puppen verhandeln den Stellenwert der Religionen.
Eine Holztreppe, Ruinen verbrannter Häuser, verkohlte Leichen: das Szenario (Bühne: Denise Heschl, Jakob Brossmann) könnte aus dem Syrien der Gegenwart stammen. Regisseur Nikolaus Habjan beschränkt sich des ersten Eindrucks zum Trotz nicht auf eine billige Aktualisierung. Behutsam führt er Lessings „Nathan der Weise“ in unsere Tage und damit die Schärfe dieses Texts vor.
Ein einsamer, alter Mann steht vor den Trümmern seiner Existenz. Es ist Nathan, der Jude, der zum zweiten Mal seine Familie in einem Pogrom verloren hat. Er fantasiert, was hätte sein können. Lessings Derwisch mutiert zum Alter Ego Nathans. Habjan hat dafür eine Puppe geschaffen, die dem Darsteller wie ein Spiegelbild gleicht. Im Zwiegespräch lassen diese beiden Figuren die Geschichte entstehen. .. Den katholischen Patriarchen, ein dämonischer Krüppel, der dem Juden Nathan nach dem Leben trachtet, zeigt Habjan als Puppe in Lebensgröße und macht durch diese Figur Lessings Kritik an der katholischen Kirche deutlich.
Habjan hält sich genau an Lessings Text, zeigt aber, dass die im Stück vorgesehene Versöhnung nicht möglich ist.
Gespielt wird sehr gut: Ohne Pathos tragt Günter Franzmeier (Nathan) die „Ringparabel“, das Gleichnis über den Stellenwert der Religionen vor und zeigt dabei einen Mann, der um eine Erklärung für das Erlittene ringt.
Das toll geführte Ensemble überzeugt in jeder Hinsicht: (Nathan), Katharina Klar (Recha), Christoph Rothenbucher (Tempelherr), Gabor Biedermann (Sultan), Steffi Krautz (Sittah), Claudia Sabitzer (Daja), Stefan Suske (Mönch). (News, Susanne Zobl, 10.04.2017)
Habjan, mehrfach ausgezeichnet für Inszenierungen, in denen seine Klappmaulpuppen den Ton angaben, konzentriert sich im „Nathan“ auf die eindrucksvoll harmonierenden Schauspieler, denen er in einer Art emanzipatorischer Selbstvergewisserung nur zwei Puppen zugesellt. Eine davon ist gleichsam Nathans Denkorgan, das mit seinem menschlichen Zwilling agiert, die andere Puppe ist, weitaus radikaler, der christlich-fundamentalistische Patriarch, der Nathan gerne auf dem Scheiterhaufen sehen würde, schließlich hat er ja ein Christenkind im falschen Glauben erzogen.
Recha, dieses Christenkind mit jüdischer Erziehung, ist am Volkstheater in der Gestalt von Katharina Klar eine junge Frau mit Temperament, die sich in den ideologischen Sprüngen zwischen freigesinntem Ziehvater und der christlich-konservativen Gesellschafterin Daja ihren Weg bahnt. Diese Daja, von Claudia Sabitzer glaubhaft verkörpert, ist Schwemmgut der unheiligen Kriege um das „Heilige Land“, ihre Selbsterhaltung ist die Bigotterie.
Die Dritte im Bunde der in dieser Inszenierung gut gezeichneten Frauenfiguren ist Sittah, Sultan Saladins Schwester, der Steffi Krautz in smaragdfarbener Robe (Kostüme: Denise Heschl) gekonnt Assoziationen mit Politikerinnen von Angela Merkel bis Marine Le Pen angedeihen lässt. Stephan Suskes „Klosterbruder“ ist wie Nathan ein Wissender, der jedoch den Weg der inneren Emigration gewählt hat. Der „junge Tempelherr“, nicht nur Kriegsgefangener, sondern auch Bruder der geliebten Recha, findet in Christoph Rothenbuchner eine phantastische, weil Nathan ähnlich entwurzelte Entsprechung. (Tiroler Tageszeitung, 11.04.2017)
Derzeit strömen die Wiener ins Volkstheater, um zwei von Habjans Puppen in Lesssings „Nathan“ zu bewundern. “ In der Arbeit, in der Habjan auch Regie führte,hat er das Menschliche und das Fast menschliche in seinen Figuren vereint: Nathan begegnet seinem Alter Ego in Form einer Puppe, drei Frauen in schwarz führen den – . diabolisch- lebensnahen, christlichen Puppen-Patriarchen, der den Juden Nathan auf den Scheiterhaufen wünscht. Und plötzlich versteht man, was der Grazer Künstler meint, wenn er sagt, man gewöhne sich fast dankbar daran auf der Bühne eine Puppe als Mensch wahrzunehmen, bis man vergesse, dass sie eine Puppe sei. Erst wenn die Puppe leide, verletzt werde, sterbe, Ende der „gesenkte Realitätsanspruch“, und die Puppe sei wieder das, was sie ist, ein Objekt. (Süddeutsche Zeitung, Cathrin Kahlweit, 12.04.2017)
Zwei Bilder von geradezu poetischer Größe und entsetzlicher Schönheit umrahmen diese Inszenierung von Lessings „Nathan der Weise“. Noch ist das Licht im Saal nicht ganz erloschen, da betritt Nathan, in der Gestalt von Günter Franzmeier, im schwarzen Anzug, klassisch geschnitten, mit großem Reisekoffer die Bühnenrampe. Der eiserne Vorhang jedoch versperrt ihm den Weg. Nathan stellt sein Gepäck ab und drückt mit aller Macht wider das. robuste Hindernis, und, siehe da, der eherne Feuerschutz verschwindet und gibt den Blick frei auf die Brandruine von Nathans Existenz.
Alles an diesen an dreieinhalb an Bilder aus Kriegen gemahnenden Orten bringt die Verachtung dem Individuum gegenüber zum Ausdruck, die ohnehin brüchigen Wände gewähren den Menschen keinen Schutz. (Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Martin Lhotzky,12.4.2017)
Gut, dass viele Jugendliche an diesem Abend im (ausverkauften) Theater saßen, denn damit sind zwei Fliegen mit einem Streich erledigt. Zum einen können sie über ein mehr als 200 Jahre altes Stück und dessen Aussagen zum friedlichen Nebeneinander nachdenken, zum anderen wird ein Klassiker der deutschen Literatur so aufgeführt, dass ihnen nicht Theaterbesuche für die Zukunft verleidet werden. (Kulturmischmasch, Daniela in Vienna, 10.05.2017)
Nikolaus Habjan shines a light on religious fundamentalism in Nathan der Weise.
With refugees reaching Europe in record numbers, it often seems that the humanistic approach is under fire. Yet strife in the Middle East and pleas for tolerance are as old as the hills, as the Volkstheater’s adaption of the classic Nathan der Weise (Nathan the Wise) shows. Written by champion of the Enlightenment and man of letters Gotthold Ephraim Lessing in 1779, the play encapsulates his ideals on the equality of man, religious equality and the perils of zealotry. An old chestnut familiar to generations of Austrian high schoolers, it could have easily descended into clichés, but under the deft direction of wunderkind and master puppeteer Nikolaus Habjan, the play shines.
… Habjan focuses less on the budding harmony between religions but rather on Nathan himself. He interprets the protagonist as a lonely man, who adapts to the role of being the “rich” and “wise” Jew in order to survive. Actor Günter Franzmeier captures those two sides of Nathan very well, vulnerable one moment and pragmatic the next. The ring parable, Nathan’s exchange with Gábor Biedermann’s sultan on which faith is the true one, has him go from threatened, desperate and finally vindicated all within one scene, evocatively showcasing Nathan’s survival instincts – and Franzmeier’s abilities.
… To emphasize Nathan’s inner conflict, Habjan falls back on his trademark puppets. The play removes the role of the sultan’s treasurer Al-Hafi, replacing him with a facsimile of Nathan. Thus, the protagonist can converse with himself, allowing the audience to visualize Nathan’s thoughts and sense his loneliness.
But Habjan’s puppetry isn’t the only deft use of duality – the set design by Denise Heschl and Jakob Brossmann also functions on several levels. The skeletal remains of a building draw an obvious parallel to the war-torn cities of Syria. Likewise, the crusade-ridden Jerusalem creates a meta level, bridging the past and present. The characters take the stage in their finest clothes, reminiscent of better days that lie behind.
Despite the serious tone, Habjan has some fun with the story. He orchestrates the meeting of Recha and the young templar for heartfelt comic relief, the two awkwardly sitting like teenagers facing each other while cheesy music plays from a boom box. Christoph Rothenbuchner manages to give his templar the requisite arrogance, coupled with confusion and doubts. The dialogue has been updated to take jabs at modern issues. Everything done by others to Christianity is violence, remarks the patriarch, “except whatever the church does to children.”(Metropole.at, Susanne Gottlieb, 01.06.2017)
Hervorragend ist dieser „Nathan“, weil er alle, die Augen haben zu sehen, Ohren zu hören, ein Herz zum Fühlen und einen Kopf zum Denken, im Innersten aufwühlt, trifft und erschüttert. Drei Faktoren tragen zu diesem ungewöhnlichen Theatererlebnis bei: Erstens das Stück, zweitens die Regie, drittens die Schauspieler… Es ist aufwühlend, während der Vorstellung im Volkstheater feststellen zu müssen, dass das Klischee von der Aktualität der Klassiker durch die betonharte Unbeweglichkeit von Politik und Vorurteilen beglaubigt wird, so dass sich, ach leider, Lessings „Nathan“ stärker als jede andere Produktion heute als das ultimative Stück zur Zeit erweist… Die Wirkung dieses „Nathan“ am Wiener Volkstheater wäre indes nicht zustandegekommen ohne die treffliche Wahl des Regisseurs. Als Puppenspieler bringt Nikolaus Habjan ein besonderes, sozusagen seiner Profession geschuldetes Gespür für Bild, Stellung und Gebärde ein. Das führt oft zu ungewöhnlich langen Gängen und Pausen. Aber sie verstärken die Spannung. Sie halten den Bogen. Und sie ermöglichen Nachhall und Reflexion.
In den ersten Spielminuten denkt man: Das wird zu gross! Doch dann merkt man, dass die Grösse der Gebärden, die Deutlichkeit der Stellungen, die Expressivität der Körper, die vom Puppenspiel herkommen, dem alten Drama eine neue, respektvoll-ehrliche Wirkung abgewinnen, die gleichermassen die Zuschauer wie die Sache trifft. An drei, vier Stellen werden die Rollen von Puppen übernommen. Die Begegnung von lebenden Spielern mit beweglichen, erschreckend lebensechten Masken gibt den Szenen eine Intensität, an die kein Video herankommt. Die schamanisch-analoge Verzauberungstechnik wirft das Drama in eine neue Dimension und macht es zum Weltbild im Sinne Heideggers: „Weltbild, wesentlich verstanden, meint nicht ein Bild von der Welt, sondern die Welt als Bild begriffen.“ Das leistet die „Nathan“-Inszenierung am Volkstheater. Das macht sie stark. (https://www.stimme-der-kritik.org/753.html, 01.11.2017)