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„Das Wechselbälgchen“

Das Wechselbälgchen

Grausames Märchen von Christine Lavant

Christine Lavants Erzählung wurde von der Schriftstellerin und Bachmann-Preisträgerin Maja Haderlap dramatisiert und von Nikolaus Habjan für das Wiener Volkstheater her- vorragend inszeniert. Der Mi- schung aus Puppenspiel und Darstellern liegt eine archaisch anmutende und berührende Erzählung zu Grunde, welche die Atmosphäre der Zwischen- kriegszeit, explizit die des Ständestaates wiedergibt. Sie demaskiert die ‚gute, alte Zeit‘ und zerstört – ohne Hass – das Image der heilen, von katholi- schen Werten geprägten Welt im Dorf und am Bauernhof. Die Autorin geht dabei mit dem Klischee ländlicher Idylle hart ins Gericht, indem sie die Situ- ation der Dienstboten auf den Bauernhöfen zur damaligen Zeit schonungslos aufdeckt und wahrheitsgetreu schildert. Es ist vorwiegend die Sprache von Knechten, Mägden und Dorfkindern aus dem innersten Bereich dörflicher Provinz, die dem Text Authentizität verleiht.

(Franz Bachhiesl , Wolfsberger Zeitung, Juni 2016)

 

Ibillimutter“ – Ich bin die Mutter

– das sind die einzigen Worte, die Zitha sagen kann. Beim Spielen hat es die Worte von anderen Kindern aufgeschnappt. Später werden ihr die mütterlichen Gefühle zum Verhängnis werden. Sehr hässlich und unglaublich liebenswert ist Habjans Wechselbälgchen-Puppe, mit den wenigen abstehenden Haarsträhnen am Kopf und den funkelnden Augen. „Die Zitha beweist in dem Stück die größte Menschlichkeit, in dem sie ihr eigenes Leben aufs Spiel setzt, um die Schwester zu retten“, so Habjan…

Spätestens seit seinem Erfolgsstück „F. Zawrel – erbbiologisch und sozial minderwertig“ scheint Habjan auch auf die Thematik spezialisiert zu sein. Auf Christine Lavant ist er zufällig gestoßen: „Ich hab im Zuge der Recherche zu ‚F. Zawrel‘ in einer Buchhandlung die Bücher ‚Aufzeichnungen aus einem Irrenhaus‘ und ‚Ein Kind‘ gefunden, die ich dann in einer Nacht ausgelesen hab. Seit damals ist Christine Lavant auf meinem Radar.“

Auch der strenge Dorfpfarrer oder die alte Wunderheilerin werden von Puppen dargestellt. „Der Pfarrer, der die moralische Instanz verkörpert, der bestimmt, wie man leben muss, was gehörig ist, auf der anderen Seite das Schwundweiblein, das außerhalb der Kirche steht. Diese zwei Instanzen, zwischen denen sich Wrga bewegt, die bauen wir auch mit Puppen“, erklärt Habjan.

ORF, Kulturjournal, 04.12.2015

 

Puppist und Regisseur Nikolaus Habjan weiß,

wie man atmosphärisch-dicht und anrührend erzählt. Und es scheint, als habe er in Jakob Brossmann einen kongenialen Bühnenbildner gefunden. Das Missverständnis der beiden ist bereits als gefeierte Gemeinschaftsarbeit am Volkstheater zu sehen, mit Christine Lavants Wechselbälgchen (1948) dürfte eine weitere dazukommen.

Märchenhaft und mystisch bringt Habjan den von Sagen, Sozialhistorie und Lavants eigener, von Krankheit gezeichneter Biografie gespeisten Text auf die Bühne. Bravourös gelingt das zum einen wegen der für ihn typischen Ergänzung des tollen Ensembles (Seyneb Saleh, Florian Köhler, Gábor Biedermann, Claudia Sabitzer) durch Masken bzw. Puppen. Herzzerreißend hat er Zithas Gesichtchen modelliert, düster dagegen die Maske der Schwundbäuerin.

Zum anderen beeindruckt Brossmanns visuell und funktional durchdachtes Bühnenkonzept, in dem sich unzählige starke Bilder in Szene setzen lassen: Drei Vitrinen hat er aufgestellt und darin en miniature eine Berglandschaft nachgebaut, in welcher die vier Darsteller starr wie kulturkundliche Ausstellungsstücke verharren, ehe sie zum Leben erwachen und auf die Bühne herabsteigen. Schon allein der Kirchturm, der hierbei als Einziges an die Höhe der Felswände heranreicht, genügte, um jene hier vorherrschende Lebensenge und Aussichtslosigkeit zu umreißen, wo der Mensch stets ganz klein ist, ist sein Schmerz auch groß.

Der Standard / Michael Wurmitzer, 06.12.2015)

 

Als Regisseur wurde der ingeniöse Puppenspieler Nikolaus Habjan verpflichtet,

und das ist der Glücksgriff der Aufführung. Der Bühnenbildner Jakob Brossmann hat drei antike Museumsvitrinen auf die Szene gestellt.

Dort verharren die Personen als bewegungslose Exponate, ehe sie sich beleben, um das Passionsspiel vom kleinen, gequälten Mädchen Zita aufzuführen. bjan wirkt diesmal nicht selbst mit, doch sind die Schauspieler bis zur Perfektion in die Führung der lebensgroßen Klappmaulpuppen eingewiesen. Das Wechselbälgchen ist eine solche Puppe, ebenso der Pfarrer und die kleine Schwester in ihrer monströsen Hübschheit. Die Magie der Puppenszenen ist gewaltig, das Geschehen schwingt sich in ihnen sofort zu der dem Text eigenen irrationaler Grausamkeit auf.

NEWS, Heinz Sichrovsky, 07.12.2015)

 

Die Mischung aus Puppenspiel und Darstellern ist in ihren besten Momenten bewegend.

Die Autorin und Dramaturgin Maja Haderlap hat die vor circa 70 Jahren geschriebene, zu Lebzeiten der Lavanttaler Dichterin nicht veröffentlichte Erzählung dramatisiert, der Puppenspieler und Designer Nikolaus Habjan führte Regie. Die Inszenierung ist durchwachsen – wunderbar in der Animation, sonst aber weniger animiert. Rührend ist der Abend jedenfalls, besonders wegen des hilflosen Balgs und seiner Mutter: Seyneb Saleh sieht als einäugige, an Krankheiten leidende Magd Wrga mit ihrem Kopftuch und in ihrer gebückten Haltung wie eine junge Inkarnation der Lavant aus.

So kalt und hart sind alte Dorfgeschichten. Fantastisch wirken in dieser Aufführung vor allem die Episoden, in denen die vier Darsteller als Puppenspieler agieren – dann sieht man tatsächlich eine Gruppe Kinder herumtollen, sieht, wie sie Zitha das Sprechen beibringen wollen. Man wird aber auch Zeuge davon, wie Zitha ihre kleine Schwester aus dem Wasser retten will. Plötzlich fühlt man sich im Volx selbst unter Wasser gezogen, ringt nach Luft. Vergeblich.

DIE PRESSE,Norbert Mayer, 06.12.2015

 

Mit Menschen, Hohlköpfen und Fetzenpuppen fand der Puppenzauberer Nikolaus Habjan eine verblüffende Methode, Christine Lavants Erzählung „Das Wechselbälgchen“, geschrieben um 1945, im Volx ein Bühnenleben einzuhauchen. Aus drei Vitrinenkästen wie im Volkskundemuseum treten die bäuerlichen Figuren hervor.

Wiener Zeitung, 08.12.2015

 

Die Kärntner Literatin Maja Haderlap hat den gnadenlosen Text subtil, behutsam und beklemmend dramatisiert; der geniale Puppenspieler Nikolaus Habjan zieht bei diesem Auftragswerk des Wiener Volkstheaters virtuos die Fäden und führt auch Regie….Ein düsteres Theatererlebnis, wertvoll, lohnenswert.

Kleine Zeitung, Werner Krause, 06.12.2015

 

Habjan lässt seine menschlichen Darsteller wie Puppen agieren(und die Puppen wie Menschen), was eine faszinierende, märchenhafte Atmosphäre kreiert . Die Puppe der Hauptdarstellerin Zitha spielt naturgemäß alle Schauspieler an die Wand. (gegen Kinder, Tiere und Puppen hat man auf der Bühne keine Chance, denn sie spielen nicht, sie sind)..Die Schluss-Szenen sind schrecklich und zart zugleich und gehören zum Besten, was derzeit im Theater zu sehen ist.

KURIER, Guido Tartarotti, 06.12.2015