Am Königsweg von Elfriede Jelinek
Niederösterreichisches Landestheater St.Pölten,
Premiere 16.03.2019
Inszenierung Nikolaus Habjan
Bühne Jakob Brossmann
Kostüme Cedric Mpaka
Musik Kyrre Kvam
Video Johannes Hammel
Ausstattungsassistenz Ruth Erharter
Puppenbau Marianne Meinl
Mit Hanna Binder, Tim Breyvogel, Sabrina Ceesay, Bettina Kerl, Manuela Linshalm, Tilman Rose
Gastspiele in Villach (April 2019) und Baden, NÖ (Mai 2019)
Nominierung & Auszeichnung
Silber (in der Disziplin Theater Österreich 2019): „Am Königsweg“
Jelineks Stück begeisterte im Landestheater Niederösterreich unter der Regie von
Puppenmeister Nikolaus Habjan sogar die „New York Times“.
(Die Presse, 30.12.2019)
Vorberichte und Interviews
Dramaturg Ludwig zur Hörst im Gespräch mit Regisseur Nikolaus Habjan über seinen Zugang zum Theater, Elfriede Jelinek und gesellschaftspolitische Gefahren
Wie näherst du dich Theaterstücken zum ersten Mal?
Wenn ich Stücke zum ersten Mal lese, achte ich immer darauf, ob bei mir Bilder im Kopf entstehen, also ein Kopfkino entsteht und manchmal beginne ich auch Musik zu hören, Beethovens Vierte zum Beispiel. Viele Erinnerungen, Emotionen, Personen sind bei mir stark mit einer Musik verknüpft.
Arbeitest du auf den Proben auch mit Musik?
Das kommt ganz auf das Stück an. Beim Puppenspiel hilft Musik ungemein, denn sie versetzt die SpielerInnen in eine Stimmung, in einen bestimmten Rhythmus, der für das Spiel mit Puppen sehr entscheidend sein kann.
Wie kam es zu deiner Entscheidung generell mit Puppen zu arbeiten?
Teil meines Verständnisses von Theater, wie auch von vielen anderen Bereichen, ist es, einen Sog zu kreieren. Sobald Menschen Interesse an einer Sache finden, nehmen sie viel mehr mit, als bei Belehrungen. Die Puppen helfen mir, diesen Sog zu entwickeln. Ich kann mit den Puppen, obwohl sie hoch stilisiert sind, sehr direkt spielen und gleichzeitig mehrere Bedeutungsebenen öffnen. Außerdem entfachen Puppen beim Publikum sofort eine Lust, sich auf etwas einzulassen. Und Lust beim Spielen und Zuschauen zu haben, ist für mich im Theater essentiell.
In „Am Königsweg“ stehen die Puppen der Muppetshow ja schon in der Regieanweisung. Welche Funktion übernehmen sie in deiner Inszenierung?
Bei Elfriede Jelineks Texten ist das „wandernde Ich“ ein großes Charakteristikum. Mal ist dieses „Ich“ die Autorin selbst, mal spricht das „Ich“ über die Autorin, mal beschreibt es eine andere Figur und wechselt dann in die Figur. Diese Sprünge geschehen teilweise mehrmals innerhalb eines Satzes und die Herausforderung ist es, in der Textfläche diese Abschnitte zu erkennen und zu Dialogen umzuformen. Und das geht mit den Puppen ganz wunderbar, denn der Schauspieler kann die Puppe spielen, sie über andere oder auch sich selbst sprechen lassen, in einen Dialog gehen oder die Puppe weglegen und als Person sprechen. Da bietet das Puppenspiel viele Möglichkeiten.
Entwickeln die Puppen in deiner Inszenierung einen eigenen Charakter?
Ja, wir ordnen gewisse Themenbereiche schon spezifisch den Figuren zu. Gonzo oder Miss Piggy sind zum Beispiel sehr eindeutig besetzt.
Wann hast du das Stück zum ersten Mal gelesen?
Ich habe das Stück von Elfriede Anfang Sommer 2017 bekommen.
Wolfgang Huber-Lang, APA., 12.03.2019 noe.ORF.at:
Herr Habjan, Sie kennen Elfriede Jelinek schon länger und haben auch eine Jelinek-Puppe gebaut. Wie kam es dazu und wie ist jetzt der Kontakt zu ihr?
Habjan: Wir sind seit „Schatten (Eurydike sagt)“ am Akademietheater in regem E-Mail-Kontakt. Zu dem Kontakt kam es durch die Verleihung des Nestroy-Autorenpreises an Elfriede Jelinek im Jahr 2013. Sie bat mich, in ihrer Vertretung den Preis mit ihrem „Alter Ego“ – wie sie meine Puppe liebevoll nennt – entgegenzunehmen. Dann ist daraus eine Freundschaft geworden. Das Alter Ego wird auch in „Am Königsweg“ zum Einsatz kommen.
APA: Lassen sich über Donald Trump überhaupt Witze machen?
Habjan: Im Fall von Trump kann man noch so lustig sein auf der Bühne, darunter ist und bleibt die Tatsache, dass an der Spitze der größten Weltmacht ein Mensch sitzt, den ich nicht unbedingt als geistig gesund bezeichnen würde, der mit Hass arbeitet und Menschenverachtung fördert; gegen den 16 US-Bundesstaaten nun Klage erheben wollen, da er mit einem Shutdown den Bau einer Mauer erpressen wollte. Und wir haben hier bei uns in Österreich einen Bundeskanzler, der nicht viel sagt, aber die Außenpolitik Trumps lobt. Da kann noch so viel Kabarett auf der Bühne stattfinden, am Ende ist es zum Weinen.
(https://www.sn.at/kultur/theater/jelinek-puppen-im-trump-stueck-am-koenigsweg-in-st-poelten-66802201 © Salzburger Nachrichten VerlagsgesmbH & Co KG 2020)
Elfriede Jelinek wünschte sich für die österreichische Erstaufführung Nikolaus Habjan als Regisseur. Ihr Text „Miss Piggy, als blinde Seherin hergerichtet, die Augen bluten, wie es die Tradition will. Überhaupt hätte ich in der Folge gern Figuren aus der Muppet Show. Da das aber nicht geht, vielleicht nur Anklänge an die Wesen dort, vielleicht eine Psychose, nein, eine Plüschhose, die an jemandem hängt, ein abnehmbarer Kopf, ein netter Frosch etc. Phantasie, bitte einschalten! Sie sind alle blind.“ (Stückabdruck, Theater heute Dezember 2017) gibt bereits den Wunsch nach Puppen vor.
„Also schuf Habjan eine Welt lebensgroßer Puppen, die von den Schauspielern selbst animiert werden… Jetzt ist sie (Elfriede Jelinek) die Hauptfigur des Abends. „Ihre Puppe ist die ernsthafte, grotesk sind die anderen“. Trump selber vor allem, der „blinde Blender. Er steht für ein System. Im Grund ist er das Licht, auf das die Motten zufliegen und verbrennen. Sie sind blind, durch das Licht geblendet, sehen nicht, was ihnen droht. Der König sieht es aber auch nicht, denn er sieht nur sich selbst im Spiegel. Sonst ist er auch blind.“
Um den König tanzen die Komparsen seiner autistischen Selbstinszenierung. Aus Klappen, Fenstern und Türchen brechen sie hervor: Miss Piggy, die noch etwas mehr als nur Melania Trump verkörpert, nämlich das Trump´sche Frauenbild und die Gegenwehr der Betroffenen; kermit, der hilflose Regisseur, der die Kontrolle über das Weltganze verloren hat; die Balkon-Muppets Waldorf und Stadler, die für das längst Gestorbene stehen, für Ahnungslosigkeit und Ignoranz vor den Zeitläufen. (News 10/2019,Heinz Sichrovsky und Susanne Zobl,)
Kritiken
„Am Königsweg“ wirkt schon durch die einleitende Regieanweisung „Überhaupt hätte ich in der Folge gern Figuren aus der Muppet Show“ wie für Habjan erdacht. Zur sonst ungreifbaren Autorin scheint ihn auch eine persönliche Nähe zu verbinden….Im Laufe des Abends verdreifacht sich die Figur (der Elfriede Jelinek), Sabrina Ceesay und Bettina Kerl verantworten dann, ebenfalls höchst adäquat, jüngere Versionen der Autorin. Natürlich gibt es auch Trump, ein quengelndes Baby im goldenen Anzug, dem Tilman Rose mit vorgeschobenem Unterkiefer die Stimme leiht. Und eben Kermit, Miss Piggy, die zwei Alten, wie sie alle heißen.
Der schönste Moment kommt aber nach eineinhalb Stunden, wenn die drei Elfrieden ungelenkt und schlaff auf einem Sofa übereinanderliegen wie eine glücklich kuschelnde Familie, während sich hinter ihnen das Bühnenbild vorbeidreht – eine modular versatiles Oval Office – und darüber unverfälscht und uninszeniert die Stimme der echten Elfi erklingt.
(Nachtkritik, Thomas Pesl, 16.03.2019)
Kermit und Miss Piggy, Gonzo und Scooter sowie die mieselsüchtigen alten Logenabonnenten Waldorf & Statler entern die Bühne und führen Stimmen aller Couleur im Mund. Sie reden als christliche Hardliner, als bewunderndes Wahlvolk, als übereifrige Patrioten und manchmal scheinbar als sie selbst, als zur Unterhaltung verdonnerte Nervensägen.
(Der Standard, Margarete Affenzeller, 17. März 2019)
Nikolaus Habjan brachte Elfriede Jelineks „Am Königsweg“ im Landestheater NÖ opulent und grell zur Erstaufführung…
Der König, „Herr der Welten“, habe die Gewalt und bringe sie, er habe keine Pflichten, er habe immer nur recht. Habjan gibt den „Blender“ mit großem Genuss der Lächerlichkeit preis: Seine solariumsorange Puppe wäre ohne blonde Perücke fast glatzert. Und sie ist, wie sich schon bald herausstellt, ein greinendes Baby mit nackten Füßchen. Damit das verwöhnte Pinkerl im güldenen Anzug nicht wieder anfängt, alles kaputt zu schlagen, muss es gewiegt werden.
(Kurier, Thomas Trenkler, 18.03.2019)
Habjans Puppen lassen den auf sechs Sprecher aufgeteilten Zwei-Stunden-Monolog nicht in Trübsinn versinken. Trump mit Kinderpopogesicht und Perücke, Jelinek tief gefurcht mit rotem Haar. Wer ist Krokodil, wer Kasperl? Alte Bekannte aus der Muppet Show beuteln Trump, wo sie ihn kriegen: Frosch Kermit, Fozzie Bär, Gonzo und die Zurufer aus der Loge Waldorf und Statler. Einer Puppe Jelinek werden, wie dem Seher Teiresias, die Augen ausgestochen. Die schweinsköpfige Miss Piggy erscheint als First Lady. (Wiener Zeitung, Hans Haider, 18.03.2019)
Die Jelinek-Puppen sind das Großartigste an dieser Aufführung. Einer der Masken, der Seherin, werden zu Beginn beide Augen ausgestochen, die Blendung. Gegen Ende sind drei Jelinek-Puppen auf der Bühne, eine junge, eine mittlere und die alte. Und auch die Figur der Miss Piggy hat etwas von Jelinek, die sich hier der Form der „Muppet Show“ bedient hat, um ihren Zorn auf den Rechtsruck in der Politik zu formulieren…Habjan ist ein Meister seines Handwerks, wie er Jelineks Wortkunst in ein Grand-Guignol-Spiel verwandelt hat, das ist teilweise atemberaubend. Und es ist mehr als Puppentheater, was hier geboten wird. Der Text ist perfekt einstudiert.
(Die Presse, Barbara Petsch, 17.03.2019)
….jene Szene, in der der Jelinek-Puppe die Augen ausgeschabt erden, da Seherinnen blind zu sein haben, zählt zu en stärksten.
(Kleine Zeitung, Wolf Huber-Lang,18.03.2018)
Alle sind blind in diesem Land: das Volk, das den König (der Name Trump fällt nie) gewählt hat, ebenso wie der Gekrönte mit dem Tunnelblick, ein gemeingefährlicher Säugling. Als geblendete Muppets „Am Königsweg“ taumeln sie alle in den Abgrund. Am Landestheater St.Pölten gelingt dem inszenierenden Puppenmagier Nikolaus Habjan eine Glanzleistung.
(Heinz Sichrovsky, Die Krone,17.03.2019)
Ms.Jelinek`s long monologues, which are both analytic and associative, pose challenges to directors. Nikolaus Habjan, this latest versions director, populates his phantasmagorical production with an army of diseased- and degenerate-looking Muppet-like ventriloquist´s dummies:Portions of the text are divided among the puppets, which also include seemingly putrefied versions of Kermit the Frog, Gonzo and the two old hecklers Stadler and Waldorf. With their deformed, blotchy skin, melting features and splotchy hair, they look as if they were left in a closet for several decades and eaten by moths……To attempt a summary of „Am Königsweg“ would be impossible, and many audience members seemed thoroughly confused afterward by the lack of a straightforward narrative or dramatic arc. „Am Königsweg“ is neither a polemic nor a historical dramatization but an of-the-moment allegory for our deeply troubling political, social and economic reality. Mr. Habjan´s disturbing production is a particularly effective showcase for this difficult but urgent material.
(The New York Times, A.J. Goldmann, April 27-28)
Und dann materialisiert sich in St.Pölten ein Theaterwunder….“Am Königsweg“, ein zu internationaler Aufmerksamkeit gelangter Kampftext gegen Trump wurde auf Wunsch der Autorin nach Niederösterreich vergeben. Auch den Regisseur, den Puppenmagier Nikolaus Habjan, hat sie sich selbst ausgesucht. Doch das mit Bedacht, sind doch die Kreaturen, die sich in den Textflächen verstecken, laut Szenenanweisung den „Muppets“ nachgeformt. Habjan Gehorcht, aber er tut noch mehr: „Am Königsweg ist auch Reflexion des eignen Schmerzes, des ohnmächtigen Aufbegehrens, des Altwerdens und Sterbens. Deshalb sprach die öffentlichkeitsabstinente Autorin längere Passagen auf Tonband, und sie treten in magische Widerrede mit drei Jelinek-Puppen. …“Am Königsweg“ ist in Habjans Deutung ein Zaubermärchen, sarkastisch wie „Lumpazivagabundus“ und doch voll Raimund`schem Abschiedsschmerz. Sie habe sich die Aufnahme streamen lassen, schreibt Elfriede Jelinek auf Anfrage, sei beeindruckt und von der der eigenen, erkältungshalber „Brüchigen Greisinnenstimme“ seltsam ergriffen gewesen. (News 75, Heinz Sichrovsky, 12,2019)
Was Salzburg, Berlin, London, Paris und St. Pölten gemeinsam haben? Hervorragende Theater, deren Produktionen von der New York Times als die Besten des Jahres präsentiert wurden. Elfriede Jelineks „Am Königsweg“unter der Regie von Nikolaus Habjan, erstaufgeführt am Landestheater St. Pölten im März 2019, zählt im amerikanischen Medium zu den vier besten deutschsprachigen Produktionen 2019.
„Der brillante Puppenspieler Nikolaus Habjan inszenierte Elfriede Jelineks unterhaltsames, surreales und teuflisches Stück, das von der Wahl Donald Trumps inspiriert wurde. Er schuf eine verwirrende und beunruhigende Welt auf der Bühne“, schreibt der Kritiker und zieht Parallelen zu den USA: „Der König in diesem Reich ist ein vulgärer Showman, dessen schlechter Geschmack die geringste seiner Untaten ist.“ (NÖN.at, Beate Steiner,23.12.2019)
Internationaler Erfolg für den Grazer Puppenspieler Nikolaus Habjan. Seine vom Publikum und Kritik gefeierte Produktion von Elfriede Jelinek „Am Königsweg“ ….wurde international geehrt. Die „New York Times“ reihte die Inszenierung und das Landestheater…unter die besten Theater Europas.
(Die Krone, 23.12.2019)