Der Streit
von Pierre Carlet de Chamblain de Marivaux
Cuvilliéstheater / Residenztheater, Premiere 13. 01. 2018
Regie:Nikolaus Habjan
Bühne:Jakob Brossmann / Denise Heschl
Kostüme:Denise Heschl
Musik: Kyrre Kvam
Licht: Markus Schadel
Dramaturgie:Thorben Meißner
mit
Hermiane /Mesrin/Mesrou / Carise: Nikolaus Habjan / Manuela Linshalm
Der Prinz / Eglé / Mesrou / Carise: Oliver Nägele
Azor / Meslis / Mesrou / Carise: Arthur Klemt
Adine / Dina / Mesrou / Carise: Mathilde Bundschuh
Musiker (live): Kyrre Kvam
Gastspiele:
- und 5. 04. 2019 im Landestheater Niederösterreich, St. Pölten
- und 16.12. 2018: Theater im Pfalzbau, Ludwigshafen
Interviews und Vorberichte
„Der Stücktext ist derart kühl und theoretisch, dass ich ihn nie mit Schauspielern machen wollen würde. Mit stilisierten Puppen kann sich aber zusammen mit dem stilisierten Text eine ganz eigene Wahrhaftigkeit ergeben.“ (Zitat Habjan, Bühne, Münchner Feuilleton, Sabine Leucht, Jänner 2018)
…denn so eine Puppe ist ja erst mal ein recht geschlechtloses Etwas. Habjan wird also, so sein Plan, nicht nur die Geschichte erzählen, sondern auch das Konstrukt „Soziales Geschlecht“ auf die Probe stellen. Was macht eine Frau zur Frau? Und wann ist ein Mann ein Mann? Unter dem Aspekt betrachtet, ist der Text in einer Zeit, in der hitzig über die Macht der Männer über die Frauen (oder umgekehrt) diskutiert wird und die Schuld hin und her geschoben wird, dann gar nicht mehr so unaktuell.(Süddeutsche Zeitung, Christiane Lutz, Extra, 11. – 17.01.2018)
(Die Puppen) …sind allesamt echte Schönheiten geworden, üppig gewandet, zumindest obenrum, unten nicht, weil sie keine Beine haben. Die Köpfe muten an wie edles Holz, doch sie bestehen aus in Form gegossenen Schaumstoff, denn sie müssen leicht sein. Dafür sind sie bemalt, uns Adina wirkt, als sei sie aus Teak, Mesrin ist eine Birke, Egle eine Buche. …Denn wenn das alles eine grandiose Metapher ist, die durch das Experiment gegängelten jungen Leute vom Prinzen geführt werden, die Puppen also zur Aussage werden, obwohl sie natürlich Habjans ursächliches Medium sind, obwohl man das alles weiß und die Künstlichkeit der Existenzen hier vorgeführt kriegt – man ist verzaubert. Habjans Erklärung: „Das Publikum sieht, was es braucht“. So glauben die Zuschauer Beine zu sehen, obwohl keine da sind. Sie glauben, Emotionen zu sehen, weil sie die Stimmen der Schauspieler hören und die Situation kennen.
(Süddeutsche Zeitung, Egbert Tholl, 12.01.2018)
Robert Braunmüller im Gespräch mit Nikolaus Habjan (Abendzeitung München, 11.01.2018)
AZ: Warum eignet sich Marivaux für Puppen?
Die Fremdbestimmung der Figuren lässt sich so sehr gut zeigen – und zwar mit einer trügerischen Harmlosigkeit. ….: Die Kinder treten als unbedarfte Holzpuppen auf. Sie werden im Lauf des Stücks bekleidet und immer mehr zu Menschen stilisiert. Ich habe dabei sowohl an Puppen aus Crash-Tests gedacht, aber auch an anatomische Modelle für Künstler aus der Entstehungszeit des Stücks.
AZ:Alle Darsteller spielen mehrere Rollen. Es fällt schwer, beim Blick auf die Besetzung eine Regel zu erkennen.
Die Puppen werden von jeweils zwei Schauspielern geführt. Wer den Kopf der Puppe spielt, ist auch für die Stimme zuständig, Der zweite Schauspieler führt die Hände.
AZ:War es schwer, die Schauspieler in Puppenspieler zu verwandeln?
Oliver Nägele wollte unbedingt mitmachen. Er hat eine große Begabung dafür und schafft es hinter der kleinen zarten Puppe zu verschwinden. Wenn ein Schauspieler mit Puppen spielt, muss er alles, was er sonst automatisch macht, noch einmal durchscannen und genau überlegen, aus welchen Körperbewegungen sich etwa Erschrecken, Atmen oder Aufwachsen zusammensetzt. Puppen helfen einem Schauspieler, exakter zu werden.
Kritiken
Ein Fabelstück wie Marivaux ´“Streit“ ist bei ihm (Habjan) und seinen Puppen bestens aufgehoben….Die Figuren haben keine Beine und, wenn man`s genau nimmt, auch kein Geschlechtsorgan. Ihre Augen sind starr, die meisten Puppen können nicht einmal die Kiefer bewegen. Sie haben nicht viel mehr Ausdrucksmöglichkeiten, als Arme, Hände und Kopf zu bewegen. Aber es funktioniert: Mit minimalen Bewegungen der Gliedmaßen stellen Habjan und seine Mitspieler die größten Gefühle dar. Die Figuren lächeln und weinen und schmachten und flirten mit den Unterarmen und ihrer Kopfhaltung. Und natürlich durch die Stimmen ihrer Spieler. Was für die Zuschauer, die ihre erste Habjan-Produktion sehen, wie ein Experiment wirken mag, wird zu einem Theaterereignis.
(Süddeutsche Zeitung, Rudolf Neumaier 15.01.2018)
Eine Rekonstruktion des Sündenfalls, die Nikolaus Habjan, Regisseur und Puppenbauer…als bravouröses Figurenspiel inszenierte.
(Mannheimer Morgen, Alfred Huber, 17.12.2018)
Auf hinreißende Weise beleben die Schauspieler ihre Figuren in einer klinisch weißen Menschenversuchs-anstalt. Die Puppen werden zu ausdrucksstarken Persönlichkeiten – erschreckend menschlich und doch abstrakt.
(MNR-News.de,14.09.2018)
In der Regel werden die Puppen von je zwei Schauspielern (in weißen, historisch stilisierten Kostümen und mit weiß geschminkten Gesichtern) geführt, die ihnen, wenn nötig auch ihre Beine leihen. Es ist faszinierend zu sehen, wie die Puppen, deren Augen verlockend funkeln, zum Leben erwachen, wie sich ihr jeweiliger Charakter herausbildet. Sie flirten und fluchen, zweifeln und zaudern, gockeln und gieren, zicken und zetern – so sehr, dass man bereitwillig vergisst, dass sie nur Material sind. Das liegt an den Darstellern, die sie bewegen, die ihnen eine, ihre Stimme geben, die hinter den leblosen Körpern verschwinden und dennoch alles erst ermöglichen. Vor allem Oliver Nägele beeindruckt bei der Premiere, der Eglé virtuos und facettenreich führt.
(Münchner Merkur vom 15.01.2018)
Es ist faszinierend zu sehen, wie die Puppen, deren Augen verlockend funkeln, zum Leben erwachen, wie sich ihr jeweiliger Charakter herausbildet. Sie flirten und fluchen, zweifeln und zaudern, gockeln und gieren, zicken und zettern – so sehr, dass man bereitwillig vergisst, dass sie nur aus Material sind. Das liegt an den Darstellern, die sie bewegen, die ihnen eine, ihre Stimme geben, die hinter den leblosen Körpern verschwinden – und dennoch alles erst ermöglichen.
(TZ, Michael Schleicher,15.01.2018)
Habjans Puppenversion liefert eine schlüssige Interpretation, nicht ohne gendertheoretischen Ansatz…Die zum Leben erweckten Figuren ziehen unwiderstehlich in Bann. Wenn sie sehnsüchtig ihre langen Arme ausstrecken, die Köpfe zum Kuss wenden, werden Gefühle sichtbar.
(Bühne, Münchner Feuilleton, Gabriella Lorenz, Februar 2018)
Habjan verlegt die Versuchsanordnung in ein anatomisches Theater ganz in Weiß. Da ist die Assoziation an Frankenstein nicht weit. Es lugt auch gleich ein Torso in den Saal, bezaubernd neugierig. Eglé. Wie ihre Gespielen und Gespielinnen ist sie ein Kunststoffkörper, der wie Holz aussieht. Wie die Malerpuppen, deren Körperteile man nach Lust und Laune verdrehen kann. Nur ohne Unterleib. Die Lebendigkeit von Habjans Klappmaulpuppen haben diese Menschendummies nicht, machen das aber zum Teil mit exaltierter Gestik wett. Und immer wieder ergeben sich erstaunliche Effekte, wenn die Schauspieler hinter den – inzwischen angezogenen – Puppen verschwinden und ihnen ihre Beine leihen. Oliver Nägele, Mathilde Bundschuh, Arthur Klemt und Nikolaus Habjan (in Zukunft abwechselnd mit Manuela Linshalm) arbeiten dabei vor allem mit ihren Stimmen.
Habjans Versuchsquartett ist eine selbstsüchtige Bande, in der jeder „ich zuerst“ schreit. Vor allem Eglé lässt in den trocken-witzigen Dialogen mit den Diener-Erziehern ganz selbstverständlich die pure Selbstsucht raushängen und liefert sich einen Zickenkrieg mit Adine, der dämliche Frauenklischees abspult. Frei von Konventionen aufgezogen, nehmen die vier sich, worauf sie gerade Lust haben. Von ausführlichen Handküssen geht es ganz frivol unter den Rock. Und Habjan nimmt Marivaux sexuell beim Wort. Wenn Mesrin zu Azor sagt „Wir müssen uns lieben“, dann tun sie das. Zumindest technisch. (Schwäbische Zeitung, Christiane Wechselberger 15.1.2018)
..Puppen sind es, die für das Experiment herhalten müssen. keine Menschen. Habjans Puppen werden brillant bewegt, sie erwachen zum Leben, bekommen Charakter. (OL, Kronenzeitung,07.04.2019)
Man setzt ihnen (den Puppen) Perücken auf die fein gemaserten Holzköpfe und steckt ihre körperlosen Leiber in Rokokokleider. In einem Wasserbecken dürfen sie ihr Spiegelbild und ihre Eitelkeit entdecken und später in der Begegnung mit den anderen die Liebe kennenlernen und was diese alles nach sich zieht an Begehren, Eifersucht, Zickenkrieg, Besitzdenken und Verlustangst. Anders als bei Marivaux kommt bei Habjan auch gleich der Sex dazu. Da verschwindet nicht bloß einer der Herren unterm Reifrock einer beglückt aufstöhnenden Dame, auch die beiden Herren treiben es gleich mal miteinander. Und am Ende verknäueln sich die Paare zu unschuldig-ausgelassenem Gruppensex. (Dietrich Wappler, Die Rheinpfalz, 17.12.2019)
Nicht ohne Grund und passend zum gelungenen Bühnenbild werden die Puppen am Schluss von den Schauspielern in ihre Einzelteile zerlegt, also buchstäblich zergliedert und dann auf einer Leichenbahre hinausgekarrt.(Alexander Altmann, Die Bayerische Staatszeitung, 19.01.2018)