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„Der Leichenverbrenner“

Der Leichenverbrenner

von Franzobel nach dem Roman von Ladislav Fuks

 

Akademietheater Wien, Uraufführung: 08.10.2020

Regie: Nikolaus Habjan

Bühnenbild: Jakob Brossmann

Kostüme: Cedric Mpaka

Kostüm-Mitarbeit: Lugh Amber Wittig

Dramaturgie: Andreas Karlaganis

Komposition: Klaus von Heydenaber

Licht: Norbert Piller

Mit Nikolaus Habjan, Manuela Linshalm, Dorothee Hartinger, Sabine Haupt, Alexandra Henkel, Michael Maertens

 

 

Vorberichte und Interviews

 

Andreas Karlaganis im Gespräch mit Nikolaus Habjan

 

EINE DEINER ERSTEN ARBEITEN FÜR DAS THEATER WAR „F. ZAWREL – ERBBIOLOGISCH UND SOZIAL MINDERWERTIG“ AUS DEM JAHR 2012, DIE HEUTE NOCH IM AKADEMIETHEATER ZU SEHEN IST. EIN DOKUMENTARISCHES THEATERSTÜCK ÜBER EIN OPFER DER EUTHANASIE IN DER NS-ZEIT. WAS BEWEGT DICH DAZU, STOFFE WIE DIESE AUF DIE BÜHNE ZU BRING

 

Ich bin auf der Suche nach Gründen für unsere gegenwärtige Situation. Warum verhalten sich heutzutage Menschen bei Wahlen in einer gewissen Art und Weise? Warum schlägt das Pendel nach rechts aus? Warum reagiert man so teilnahmslos darauf, dass Leute im Mittelmeer ertrinken? Meistens finde ich Antworten in unserer nicht richtig aufgearbeiteten Vergangenheit, sei das die Zwischenkriegszeit, sei das die Zeit während des Zweiten Weltkriegs. Diese Zeit erscheint mir so unglaublich wichtig, weil sie so viel für mich verständlich macht, und erzählt, warum unsere Welt heute so tickt.

 

MIT DEINEN PUPPEN BRINGST DU DIE VERDRÄNGTE VERGANGENHEIT ZU TAGE?

 

Worte wie „Kollektivschuld“ lösen mittlerweile eher Ablehnung aus. Man möchte sich mit dieser Zeit nicht mehr auseinandersetzen. Ich kann nur für mich sprechen, aber in meiner Schulzeit haben wir uns falsch mit dem Thema beschäftigt. Das Stück „F. Zawrel – erbbiologisch und sozial minderwertig“ war für mich der erfolgreiche Versuch, dem Publikum diese Zeit auf einer emotionalen Ebene näherzubringen und nicht mit empirischen Zahlen. Mit „Böhm“ habe ich versucht, den Graubereich des Opportunismus spürbar zu machen, aber ohne mich auf eine

Seite zu stellen und zu behaupten, Böhm wäre ein nationalsozialistischer Sympathisant gewesen. Im Gegenteil wollte ich das Publikum auf eine Fährte locken. Es sollte sich fragen: „Was würde ich tun, an seiner Stelle?“ Ich möchte Fragen dieser Art in den Raum stellen.

„DER LEICHENVERBRENNER“ SPIELT EBENFALLS IN DIESER ZEIT, ALLERDINGS IN PRAG.

Als ich den Roman zum ersten Mal gelesen habe sind mir viele Parallelen zur Gegenwart aufgefallen. Ich will nicht sagen, dass wir nächste Woche wieder in ein totalitäres Regime verfallen, aber ich denke, dass die Motoren, die in den 30er und 40er Jahren aktiv waren, heute genauso laufen. Die Dinge entwickeln sich vielleicht in einer anderen Geschwindigkeit.

DEINE PUPPEN SIND IN DIESER GESCHICHTE GROTESK UND BÖSE, BERÜHREN ABER ZUGLEICH UND HABEN HUMOR.

Die Puppe ist Projektionsfläche. Sie funktioniert, wenn man etwas, das zutiefst aus einem selbst kommt, in sie hineinlegt. Dann beginnt sie zu leben und erwischt das Publikum unmittelbar. Das Stück „F. Zawrel“ wäre nie möglich, wenn ich es als Mensch darstellen würde.

 

DER AUTOR DES ROMANS „DER LEICHENVERBRENNER“ LADISLAV FUKS IST HIERZULANDE KAUM BEKANNT. WIE BIST DU AUF DIESEN STOFF AUS DER TSCHECHISCHEN NACHKRIEGSZEIT GESTOSSEN

Durch Zufall. Ich glaube, ich habe es im Bücherregal meines Großvaters entdeckt. Ich habe es mir geschnappt und in einer Nacht aufgesaugt. Ich habe ein Faible für Grusel- und Horrorliteratur. Eine meiner Lieblingsgeschichten als Kind war „Der Wij“ von Gogol. Als ich den „Leichenverbrenner“ aufschlug erwartete ich etwas in dieser Art. Es war dann eine ganz andere Geschichte, die mich auf eine ganz unerwartete Weise fesselte und nie wieder losliess. Das Buch verstört, weil es nicht wirklich einordenbar ist. Es bleibt in einer eigenartigen Halbwelt, so realistisch wie absurd. Es sind Bilder, die ich erst Jahre später verstehen konnte. Ich musste sie erst gären lassen und eigene Erfahrungen machen.

IM ZENTRUM DER GESCHICHTE STEHT KAREL KOPFRKRINGL, EIN LIEBEVOLLER FAMILIENVATER, DER IM STÄDTISCHEN KREMATORIUM ARBEITET UND SCHLEICHEND ZUM MÖRDER IM NATIONALSOZIALISTISCHEN REGIME WIRD.

Kopfrkingl ist kleiner Mensch, der von ganz grossen Dingen träumt und Ideen einer kosmischen Wiedergeburt hat. Er lebt und arbeitet in einem Tabubereich des menschlichen Lebens und steht auf eine intime Art und Weise jeden Tag mit dem Tod in Verbindung. Er beginnt, den Gedanken der Wiedergeburt zu instrumentalisieren und zu nutzen, um sich selbst zu entschulden. Wir werden Zeuge, wie sich seine kleine, heile Welt immer mehr infiziert, bis sie kollabiert.

WÜRDEST DU IHN ALS EINEN PATHOLOGISCHEN EINZELFALL BESCHREIBEN? ODER IST ER EIN JEDERMANN?

Man kann einerseits sagen, es ist ein armer Irrer, der einer Psychose zum Opfer fällt, nationalsozialistische Ideen entwickelt und seine Familie auslöscht. Man kann aber auch sagen, dass das vielleicht auch passiert wäre, wenn er geistig gesund wäre. Wir können die bequemste Erklärung suchen oder die Unbequemste. Selbst wenn man sagt, er ist ein armer Irrer – im Hinterkopf bleibt der Gedanke: „Das könnte auch genauso Dir passieren“.

 

MICHAEL MAERTENS SPIELT DIESE FIGUR. DOROTHEE HARTINGER, SABINE HAUPT UND ALEXANDRA HENKEL SIND SEINE FAMILIE. UM KOPFRKINGL HERUM ERZÄHLST DU EINE WELT MIT PUPPEN. SIND SIE SEIN ZERRSPIEGEL, SEIN BLICK AUF DIE WELT?

Er baut sich seine eigene Realität mit seinen Figuren zusammen, Charaktere, von denen man vielleicht annehmen könnte, dass sie vollkommen anders sind, als er bestimmt, wie sie zu sein haben.

DU SPIELST, ALTERNIEREND MIT MANUELA LINSHALM, DIE FIGUR DES HETZERS REINKE, DER KOPFRKINGL FÜR SEINE GESELLSCHAFTLICHEN ZWECKE INSTRUMENTALISIERT. WER VON BEIDEN IST IN DEINER INTERPRETATION DER TÄTER: DER HETZER ODER DERJENIGE, DER GEHETZT WIRD?

Es gehören zwei dazu. Der Hetzer, wie derjenige, der ausführt. Wir erleben den Familienvater, der von den Nazis beeinflusst und zum Täter wird. Vielleicht ist sein Einflüsterer Reinke aber auch ein Teil von Kopfrkingl selbst. Nicht nur in Bezug auf den Nationalsozialismus wissen wir, dass in der Menschheit ein Gewaltpotential schlummert, welches über Nacht auszubrechen vermag und dass in gefestigten Systemen ganz schnell kriegerische Situationen ausbrechen können.

SIEDELST DU DIESE WELT IN DER VERGANGENHEIT AN? PARALLELEN ZU HEUTE SIND LEIDER LEICHT ZU ERKENNEN, WENN MAN, IM AKTUELLSTEN FALL, AN DEN „VERWIRRTEN EINZELTÄTER“ IN HANAU DENKT.

Die Bezüge zur Gegenwart liegen so nahe, dass ich keinen direkten Hinweis brauche. Ich möchte von Systemen erzählen, die manipulativ und bewusst aggressiv mit Sprache umgehen, wodurch verbale Gewalt in physische Gewalt umschlägt. Egal, welches Jahrhundert oder welches Jahrzehnt man betrachtet, überall wird man Beispiele dafür finden. Sprache hat eine unglaubliche Macht, die sich zum Guten wie zum Schlechten wenden kann. Wenn ein Bundeskanzler sagt „Es wird nicht ohne hässliche Bilder gehen“ und dabei meint „Wir verschließen ganz bewusst einen Fluchtweg und dadurch werden Menschen ertrinken, was als abschreckendes Beispiel dienen soll“, dann lädt er sprachlich dazu ein, noch mehr Gewalt zu produzieren. In einer Stimmung wie dieser wird durch einen Herrn Vilimsky ausgesprochen, dass man Behinderten das Wahlrecht entziehen sollte. Wenn man diese Entwicklung weiterverfolgt, ist man bald nicht mehr weit davon entfernt zu sagen, an Menschen, die kein Soll zur Gesellschaft beitragen können, müsse gespart werden, sie seien weniger wert und müssten vielleicht sogar erlöst werden. Genauso ist es mit dem Vorfall in Hanau. Wenn Höcke von der AfD einen Umsturz propagiert, dürfen wir uns nicht wundern, wenn ein Verrückter das so ernst nimmt, wie Höcke es meint. https://www.burgtheater.at/index.php/sprache-hat-eine-unglaubliche-macht

 

 

Fuks Roman habe ihn schon lange in seinen Bann gezogen, erzählt Habjan. Versuche ihn an einem Theater zu zeigen, scheiterten möglicherweise daran, dass der Autor vergessen ist. Die Burg hielt dagegen und beauftragte Franzobel mit der Dramatisierung. Dem Roman ist nun ein Paar hinzugefügt, das aus zwei Perspektiven das Geschehen kommentiert. Für Habjan spiegelt dieses Paar die Gesellschaft der Vergangenheit und Gegenwart wider, Während die Frau die bevorstehende Katastrophe erahnt und von Leichenbergen spricht, verharmlost der Mann die Bedrohung. „Das ist etwas, was sich auch durch unsere Zeit zieht. Die einen sagen, das Corona-Virus wird ein Drittel der Weltbevölkerung töten, die anderen, das wird gar nicht schlimm, das ist eine normale Grippe“, erklärte Habjan. Trotzdem verlegt er das Geschehen nicht in die Gegenwart. „Es ist viel eindrücklicher, wenn man das Stück in seiner Zeit belässt. Sonst wäre das „Zeit im Bild“. (News, Susanne Zobl, 02.10.2020)

„Der Leichenverbrenner“, der es vor dem Shutdown im März schon bis zur Generalprobe geschafft hatte, wird von Puppenmagier Nikolaus Habjan inszeniert. Über die Arbeit mit dem Multitalent, das auch als Opernregisseur und Kunstpfeifer tätig ist, gerät Maertens in den höchsten Tönen ins Schwärmen. „Er hat einen ganz sensiblen, klugen künstlerischen Zugriff und eine tolle Beobachtungsgabe. Ich bin ganz begeistert von ihm. Wir haben uns ewige Treue geschworen.“ Im Gegensatz zu seinen drei Kolleginnen Dorothee Hartinger, Sabine Haupt und Alexandra Henkel hat er jedoch selbst keine Puppen zu führen. „Es heißt ja, die größten Feinde des Schauspielers sind Hunde, Kinder, Puppen und Gert Voss – denn die ziehen den Fokus des Publikums sofort auf sich“, lacht Maertens. „Aber im Ernst: Ich bin froh, denn ich glaube nicht, dass ich mir das so nebenbei hätte aneignen können – zumal ich in meiner Rolle mehr Text als je zuvor habe. Sogar mehr als Hamlet. Meine Kolleginnen, die sowohl mit als auch ohne Puppen zu sehen sein werden, haben meinen größten Respekt, wie sie das meistern.“(Salzburger Nachrichten, APA, 06.10.2020)

 

 

Die Presse: Wie sind Sie auf den Prager Autor Ladislav Fuks gekommen? Er starb 1994, hatte seine größeren Erfolge vor einem halben Jahrhundert und ist heute außerhalb von Tschechien kaum bekannt.

Franzobel: Nikolaus Habjan (der Regisseur, Anm.) kannte den Stoff, mir war er unbekannt. Von Fuks sind auf Deutsch zwei, drei Bücher erschienen, alle längst vergriffen, was schade ist, weil es sich um eindringliche Prosa zu heftigen Themen handelt.

Was hat Sie an seiner 1967 veröffentlichten Novelle „Der Leichenverbrenner“ interessiert, die Sie dramatisiert haben? (Die Presse, Norbert Mayer, 08.10.2020)

 

Kritiken

 

Die Puppen-Hauptrolle hat Regisseur und Figuren-Magier Nikolaus Habjan sich selbst gesichert, jene des Deutschen Willi Reinke, der eindringt in die fragil-versponnene Ideenwelt des Leichenverbrenners und in diesem den Nazi-Fanatiker weckt. Das Gesicht Habjans als Totenkopf geschminkt – auch das vordergründig wie manches im Text von Franzobel, aber eben der Vorlage adäquat.

Fulminant das weihnachtliche Familienessen. Da wirkt der Leichenverbrenner noch beinah ungefährdet gegenüber den Einflüsterungen des strammen Deutschen. Er, der dem Weihnachtskarpfen keine Schuppe zu krümmen wagte, sinniert über dessen Wiedergeburt, „und sei es als Weihnachtsgans“.

Willi Reinke hakt kulinarisch nach und hält ein Plädoyer gegen tschechische Knedlje: „Ein Herrenmenschenknödel hat nicht flauschig zu sein, damit gewinnt man Kriege.“ „Er liegt einem schwer im Magen“, kontert der Leichenverbrenner da noch wacker, aber das Gastro-Gift beginnt in ihm alsbald so stark zu wirken wie die Verführung durch eine in Aussicht gestellte Karriere.

(Nachtkritik.de, Reinhard Kriechbaum, 08.10.2020)

 

Das liegt auch daran, dass Franzobel diese Bearbeitung, wie das Burgtheater versichert, explizit für „die zarten Monsterpuppen von Nikolaus Habjan“ dramatisiert hat, und folglich stimmt dieses Gefüge ausnahmsweise. Er selbst spielt. persönlich mit einer Gesichtsmaske, mit der er als Tod auf den Salzburger Domplatz gehen könnte,

Aber Nikolaus Habjan hat ja auch als Regisseur, in einem geschickt zu verwandelndem Bühnenbild (Jakob Brossmann) und Alltagskostümen (Cedric Mpaka), ein Horrorkabinett geschaffen. Wahrscheinlich die richtige Lösung für eine Geschichte, die ihre politische Aussage eine Handbreit über dem Boden präsentiert.

Es ist der Abend des Michael Maertens, der vom Anfang bis zum Ende die satt-zufriedene Miene des von sich selbst überzeugten und mit sich selbst ach so zufriedenen Menschen präsentiert, den man auch im Leben finden kann. Er wird zum Opfer und auch zum Monster, ohne es wirklich zu bemerken. Die Krönung zum tibetischen Friedensfürsten ist Theatereffekt und Aussage zugleich: Es gibt Menschen, die können offenbar nicht erkennen, was sie tun. Realitätsverlust als Schuld.

(Der Merker, Renate Wagner, 08.10.2020)

 

Triumphale Premiere. Das Buch beschreibt den Weg eines scheinbar biederen Durchschnittsmenschen zum Nazischergen und Serienmörder, 1969, zwei Jahre nach seiner Veröffentlichung, wurde es von Juraj Herzverfilmt und brachte es bis zur  tschechoslowakischen Einreichung für den Auslands-Oscar.Nun, 51 Jahre später, erlebte es, in der Bearbeitung des Schriftstellers Franzobel, seine Uraufführung am Wiener Akademietheater. Die war bereits für März geplant gewesen und fiel dann dem Lockdown zum Opfer. Verspätet gab es am Donnerstag eine triumphale Premiere.

Das liegt weniger am Text – auch wenn der Autor den Kopfrkinglschen Kleinbürgersuaden in zahlreichen Wiederholungsschleifen geschickt die öligen Rhethorikhülsen heutiger Rechtsradikaler unterjubelt und in einer köstlichen Szene eine Herrenmenschentheorie anhand des Vergleichs tschechischer mit deutschen Knödeln entwirft.

Den Abend dominieren aber einerseits die kluge, bildmächtige Inszenierung von Nikolaus Habjan,der mit dieser Arbeit einmal mehr beweist, wie die charakteristische Unheimlichkeit seiner Puppen und Masken die Wirkung von

Bühnenerzählungen verdichtet und intensiviert. Und andererseits der Schauspieler Michael Maertens, der in einer konzentrierten, stillen Bravourleistung inmitten all des flamboyanten Puppentreibens vorführt, wie sich ein völkischer, mörderischer Wahnsinn in einen scheinbaren Durchschnittsmenschen einschleicht. Rund um ihn gruppiert sich mit Habjan, Dorothee Hartinger, Sabine Haupt und Alexandra Henkelein kleines, aber exquisites Ensemble, das im rasanten Wechsel von Schau- zu Puppenspiel und retour große Klasse zeigt. (Kleine Zeitung, Ute Baumhackl, 09.10.2020)

 

 

Das Erstaunliche ist, dass man sich an Nikolaus Hajans Puppen nicht sattsehen kann. Von solch hypnotischer Ausstrahlung sind diese Wesen, die ihr Schöpfer in seine handwerklich erstklassigen Regiearbeiten stellt, dass sich Habjans Ästhetik ständig erneuert. Im Übrigen pflegt der 33-Jährige dieselben Tugenden wie drüben bei der Konkurrenz der um 50 Jahre ältere Peymann: Es geht um die Aura der Schauspieler, die hier aufregend mit den Puppen agieren, und die Konzentration auf den Text.

Der ist diesfalls eine Pretiose. Der tschechische Schriftsteller Ladislav Fuks schrieb sein Schreckenswerk 1967: Der pflichtgetreue Familienvater und Angestellte eines Leichenschauhauses bringt unter dem narkotisierenden Effekt der aufkommenden Nazi-Zeit seine jüdische Frau und seine Kinder um, weil er sich davon Reinigung erhofft.

Fuks‘ Kollege Franzobel hat das wirksam dramatisiert. Regisseur Habjan begibt sich als sein eigener Puppenspieler in aufregende Kumpanei mit dem Besten, was sich das Burgtheater aus früheren Direktionen erhalten hat: Michael Maertens vor allem, den man leider seltener als früher sieht, Dorothee Hartinger, Alexandra Henkel und Sabine Haupt. Das Resultat ist ein Stück absurden Theaters auf der Höhe Kafkas, Capeks, Meyrincks. Nicht weniger als ein Wurf. (Kronen Zeitung, Heinz Sichrovsky, 09.10.2020)

 

 

 

Nikolaus Habjan und sein Puppen-SchauspielerInnen-Ensemble haben den Roman von Ladislav Fuks gestern am Akademietheater zur Uraufführung gebracht. Franzobel hat die Prosa dramatisiert, und sich als perfekte Wahl für dieses Werk erwiesen, mit seinem Sinn fürs Skurrile, seinem Händchen fürs Deftige, und punkto Sprachwitz mit Franzobels speziellem, gefeanzten Humor. Die Kombination all dessen macht die Aufführung zum Abend des Michael Maertens.

Maertens gibt den Karel Kopfrkingl, den Leichenverbrenner, der im Prager Krematorium mit dem Einäschern toter Körper beschäftigt ist. Welch ein Bild. Fuks schrieb „Spalovač mrtvol“ 1967 im Zwiespalt, einerseits die „Zerschlagung der Rest-Tschechei“ mit dem jüdischen Schicksal zu verbinden, das Ausgeliefertsein des Opfers ans menschenvernichtende Regime, andererseits eine Anklageschrift zur tschechischen Kollaboration mit den Nazis zu verfassen.

Er ist nicht der einzige Autor seiner Generation, den diese Amphibolie beschäftigt, und als Künstler fraglos Existenzialist und ein Meister des psychologischen Horrors. Weshalb das Buch Jung-Habjan mit seinem Faible für Gruselgrotesken in die Hände fiel und ihn bis heute nicht mehr losließ. Mit süßlicher Falschheit tropfen die Worte von Maertens Lippen, und gewollt oder ungewollt komisch, sind des Hamburgers Verhaker in der böhmischen Mehlspeiskunst. Powdiltatschkerln sind halt etwas Pyramidonales, da sitzt er mit dem Strauss in der Konditorei, ist der Jude?, Kopfrkingl weiß das gar nicht, und bietet dem armen, arbeitslosen Witwer einen Job als Kremier-Propagandist an.

Strauss ist eine der von Habjan und Marianne Meinl gebauten „Monsterpuppen“ (© Franzobel) und diesmal, dies als Kompliment gemeint, sind sie ihm besonders scheußlich geraten. Als hätte sie das Räderwerk des Todes bereits überrollt, Kopfrkingls Assistent und Kettenraucher Dvorák eine wandelnde Leiche, die spooky Putzfrau mit dem Kopf nach hinten, es gibt Gliedmaßen ausrenkenden Sex mit Puppen-Prostituierten, Klappmaul-Saufgelage – und die großartigen Dorothee Hartinger, Sabine Haupt und Alexandra Henkel begleiten sie nebst dem totenköpfigen Habjan von Szene zu Szene….Habjan beleuchtet den Horror in Schwefelgelb, seine Arbeit mit der von Franzobel ex aequo plakativ, die Figuren neben den beiden Hauptdarstellern Kopfrkingl und Reinke holzschnittartig. Doch das Trio Hartinger, Haupt und Henkel hat mit dem Puppen-Panoptikum genug zu spielen – und auch in Maske, etwa als Sargträger. Ein beredter Moment auf der Bühne, als Habjan diese mit einer raschen Gesten von den Köpfen reißt, zu Boden wirft – und aus, zwei Leben vorbei. Im Bühnenbild von Jakob Brossmann liegt das Wohnzimmer wie ein kleiner Guckkasten gleich hinterm Krematorium, und was ein schrecklicher Satz, wenn Kopfrkingel zu Dvorák sagt, manche Menschen stoßen sich am süßlichen – siehe oben: seine Falschheit – Geruch verbrannten Fleisches. Welch eine Preziose, dieser Schreckenstext, dazu die hypnotisch-roten Glitzeraugen der Puppen – und wie die Schauspieler mit diesen Geschöpfen interagieren … (Bühne, Michaela Mottinger, 09.10.2020)

 

 

Immer wieder taucht als Parallelhandlung ein hinreißendes Ehepaar auf. Sie erweist sich mit schreckgeweiteten Augen als Kasandra-Ruferin, die den Zweiten Weltkrieg, die Bomben, den Hunger, die Deportationen etc. erahnt. Und er beschwichtigt immerzu. (World News, Thomas Trenkler, 09.10.2020)

 

 

In unseren Zeiten des anwachsenden Rechtsextremismus, in denen sich Unmenschlichkeit und brutale Irrationalität wie eine Seuche verbreiten, erscheint Fuks‘ Roman über die Mechanismen des Erstarkens des Faschismus als Lehrstück der Stunde. Dessen Dramatisierung durch den österreichischen Dramatiker und Romanautor Franzobel brachte nun der 32-jährige Grazer Regisseur und Puppenspieler Nikolaus Habjan im Wiener Akademietheater zur Uraufführung – sieben Monate nach dem ursprünglich geplanten Premierentermin, der wegen des durch die Pandemie bedingten Lockdowns verschoben werden musste.

Ladislav Fuks gelingt es in seinem scheinbar realistischen, von zunehmendem Horror erfüllten Roman, die wahnhaften Züge des Nationalsozialismus und seines Protagonisten mit den Mitteln der Groteske erkennbar zu machen. (Die deutsche Bühne, Christina Kaindl-Hönig, 09.10.2020)

 

 

Wer will in diesen Zeiten eine Produktion namens „Der Leichenverbrenner“ sehen? Die meisten Menschen dürften sich eher nach flotten Komödien sehnen. Doch Franzobels Bearbeitung des Romans von Ladislav Fuks …ist wahrhaftig eine Entdeckung…Nikolaus Habjan hat die Uraufführung mit Gespür inszeniert und mit seinen Klappmaulpuppen ausgestattet. Darunter Reinke, dessen grausliche Predigten Habjan sehr überzeugend klingen lässt…Die stärkste Kunstfigur ist die Seherin mit ihren Prophezeiungen der nahenden Kriegskatastrophe. Ihr Gatte würde sie am liebsten in die Psychiatrie abschieben…Ein Drama von mächtiger Fabulierkunst…Besonders originell die Szene im Stundenhotel.Minutenlang brennt eine Leiche….

…ein überaus spannender und sehenswerter Abend. (Die Presse, Barbara Petsch, 10.10.2020)

 

Nikolaus Habjan inszeniert das Überläuferdrama von Franzobel (nach Ladislav Fuks) als gelungenen Szenenreigen in Schauerästhetik…Maertens markiert das in einer schwindeligen Tibet-Verehrung gipfelnde, gefährlich-sentimentale Gemüt dieses Karel Kopfrkingl von Anfang an mit gespenstisch-expressionistischer Geste. Seine tiefsitzende Angst vor seiner eigenen Schwäche verbirgt er hinter einem Wall an Korrektheit: häuslich, pflichtbewusst, abstinent, wohlwollend. Sein übersteigerter Drang zum Ideal geht so weit, dass er ein käuflich erworbenes Gemälde mit der falschen darauf abgebildeten Person zwanghaft-weihevoll als das richtige in den Wandschrank stellt. Eine kafkaeske Szene, die vom Verblendungsgrad des Mannes ein schauriges Beispiel gibt,…An diesem symbolisch aufgeladenen Ort taucht regelmäßig Reinke auf, bald mit Nazi-Armbinde, und verschleudert zu seinen Hetzreden giftige Blitze aus seinem Glasauge. Sein betrübliches Knautschgesicht (Puppenbau: Habjan und Manuela Linshalm) entfaltet dabei unheimliche Lebendigkeit.

Seit Spielzeitbeginn wirkt Nikolaus Habjan als Hausregisseur an der Oper Dortmund (Einstand mit Entführung aus dem Serail). Seine Bühnensprache ist vor erratischen Momenten nicht gefeit, für die Angstlandschaft dieses Stücks tschechischer Bewältigungsliteratur war sie aber ein zuverlässiger Schlüssel. (Standard, Margarete Affenzeller,10.10.2020)

Der österreichische Dramatiker und Romanautor Franzobel dramatisiert diesen psychologischen Horrorroman für die zarten Monsterpuppen von Nikolaus Habjan. (Kronenzeitung, 10.10.2020)

 

 

 Dem bestechenden Ensemble stellt Regisseur Nikolaus Habjan seine monströsen Puppen zur Seite. Sie verkörpern, geführt und gesprochen von Habjan selbst und den Schauspielerinnen Haupt und Henkel, zusätzliche Rollen und heben durch ihre zwingende Klappmaul-Physis das Stück in die wunderliche Sphäre eines bösen Märchens.

Da gibt es das Paar, dem sowohl Autor Franzobel als auch die Inszenierung wichtigen Raum geben. „SIE hat immer Todesahnungen, sieht Tausende Tote und Horrorvisionen, und ER macht das immer lächerlich. Das ist für mich eine klare Zeichnung unserer jetzigen Zeit“, skizziert Habjan die Figuren. Beängstigend, weil er die psychische Randständigkeit seines ehemaligen Kriegskameraden Kopfrkingl bestens zu bedienen weiß, ist der „Vorzeigenazi“ Reinke (Puppe/Nikolaus Habjan). Franzobel lässt diesen von „Herrenmenschenknödeln“ schwadronieren, mit denen man „Volksfeinde steinigen“ könne.

Nicht immer bewähren sich Habjans Mensch-Puppe-Konzept und sein weitestgehend „klassisches“ Verständnis von Regie, bei „Der Leichenverbrenner“ macht es jedoch die Fallhöhe zwischen „Gut“ und „Böse“ mit grausigem Witz und sonderbar abstrahierter Gewalt deutlich. Mit einigem Nachhall.

(Tiroler Tageszeitung, Bernadette Lietzow, 10.10.2020)

 

 

 

Bedenke Mensch, dass du Staub bist und zum Staub zurückkehrst’, so die Devise des leidenschaftlichen Bestatters, welcher in Feuer und Tod, die große Erlösung, Reinigung und Ordnung sieht. Er scheut den Tod nicht, fetischisiert ihn geradezu. Dieser makabere Tanz mit dem Tod beschränkt sich aber längst nicht auf Beruf und Einstellung: Seine manischen Visionen garantieren eine ständige Präsenz des Todes, da sich dessen personifizierte Gestalt auch als unheilvoller Puppenspieler und leitende Hand hinter Karels nationalsozialistischem Gesprächspartner gibt. Somit erfüllt der Schauspieler hinter der Puppe seine ‘leitende’ Funktion nicht als Mittel zum Zweck sondern als wichtige und vor allem metaphorisch wirkungsstarke Instanz der Inszenierung des Stücks (- eine gestalterische Raffinesse, die man bei Nikolaus Habjans Theaterproduktionen oft und gerne sieht). 

Dass die faschistische NS-Ideologie und ihre Anhängerschaft enge Kameraden des Todes sind und diesen im Zuge ihrer ‘Reinigung des Volkes’ heillos über Europa bringen, wird im Theaterstück Der Leichenverbrenner somit nicht nur thematisiert, sondern auch sinnbildlich dargestellt. Die generell starke Tendenz zur symbolischen Ausgestaltung durch bspw. Kostüme, Puppen, Musik und Lichteffekte in diesem Stück hilft somit ein derart schweres und dennoch notwendiges Thema wie dieses halbwegs verdaulich zu transportieren. Als ‘Horrorgeschichte’ verpackt ist das Stück dabei sogar relativ kurzweilig.

Fazit: Den Nationalsozialismus und seine Auswirkungen zu thematisieren ist eine heikle Angelegenheit, da es keine Worte gibt, die einem Grauen dieses Ausmaßes gerecht werden könnten. Mit großer Symbolkraft, raffiniertem Einsatz von Puppen und einer angemessenen Balance zwischen wissendem Schweigen und detailreichen Ausmalens der fürchterlichen Geschehnisse während des NS, ist dem gesamten Produktionsteam dennoch ein erstklassiges Theaterstück gelungen. Sehr zu empfehlen.(http://www.neuewiener.at/theaterkritik-derleichenverbrenner-akademiethater/)(Neue Wiener, Isabella Haltrich, 12.10.2020)

 

Ein Stoff, für den Puppenspieler Nikolaus Habjan wie geschaffen! Gemeinsam mit Manuela Linshalm (Puppenbauerin und Puppenspielerin) und Jakob Brossmann, verantwortlich für die Bühne, schuf er ein Theater der Groteske. Er ließ das ganze Geschehen in einer Bühne auf der Bühne ablaufen. Schuf Puppen von betörender Grauslichkeit, wie etwa das streitende Ehepaar: Sie ist eine Kassandra, die das Übel des Weltkrieges kommen sieht, er hält sie für dumm und krank und verdrischt sie nach Lust und Laune. Grausamkeiten, die man als Zuschauer nur erträgt, weil es Puppen sind. Eindrucksvoll auch die Puppenfigur des überzeugten Hitleranhängers Reinke, hinter der Nikolaus Habjan in Totenmaske steht.

Ein Abend, der Ablehnung und Bewunderug auslöst. Ablehnung, weil die Figuren oft recht klischeehaft gezeichnet sind. Bewunderung für die Leistung der Schauspieler und der Puppenspieler, die aus dem grotesk-tragischen Mischmasch ein eindrucksvolles Ganzes schufen. https://www.silviamatras-reisen.at/der-leichenverbrenner-franzobel-nach-ladislav-fuks-akademietheater/

 

 

 

 

Inszeniert hat Nikolaus Habjan, der begnadete Puppenspieler; seine grotesken Pappmaché-Figuren übernehmen diesmal aber nur die Nebenrollen, während die Familie Kopfrkingl von lebendigen Schauspielern dargestellt wird. (Süddeutsche Zeitung, Wolfgang Kralicek, 13.10.2020)

 

 

 

Das Thema ist die Verführbarkeit des braven, pflichtbewussten Bürgers durch Lügen und Halbwahrheiten, die Verzerrung der Wirklichkeitswahrnehmung, die den Umgang mit den Menschen vergiftet und in die Katastrophe führt. Die Inszenierung durch Nikolaus Habjan glänzt durch ein kongeniales Zusammenspiel. Seine Puppenwelt verdoppelt die Darstellung der Charaktere mit Ausnahme der Hauptfigur des Leichenverbrenners, der „in echt“ aus dem Biedermann zum Monster mutiert. Die kalte Szenerie (Bühnenbild Jakob Brossmann, Licht Norbert Piller), in der sich weitere Vorhänge wie auf der Puppenbühne zu bunten und schrillen Szenen öffnen (Kostüme Cedric Mpaka). Die von Franzobel aus dem Roman übertragenen Dialoge in einer spröden zwischen Pathos und Banalität gehaltenen kurzen Satzführung (Dramaturgie Andreas Karlaganis). (Johannes Langhoff, http://www.reformiertestadtkirche.at/pdf/kunst/2020/unsäglich%20aber%20spielbar.pdf