Alles nicht wahr – ein Georg- Kreisler-Liederabend
Salzburg, Mozartsaal, Uraufführung 10.10.2020
Konzept, Puppenbau: Nikolaus Habjan
Konzept, Musikalische Bearbeitung: Markus Kraler, Andreas Schett
Nikolaus Habjan – Puppenspiel & Gesang
FRANUI:
Johannes Eder – Klarinette, Bassklarinette
Andreas Fuetsch – Tuba
Romed Hopfgartner – Altsaxophon, Klarinette
Markus Kraler – Kontrabass, Akkordeon
Angelika Rainer – Harfe, Zither, Stimme
Bettina Rainer – Hackbrett, Stimme
Markus Rainer – Trompete, Stimme
Andreas Schett – Trompete, Stimme, Moderation, Leitung Martin Senfter – Ventilposaune, Stimme
Nikolai Tunkowitsch – Violine
Kritiken
Nikolaus Habjan singt also Kreisler, fallweise unterstützt von den
Männerstimmen der Franui – und natürlich in der
Dauerauseinandersetzung mit Lady Bug. Die ausrangierte
Primadonna als abgetakeltes alter Ego des Puppenspielers. Die
Verfremdung durch die Handpuppe erschließt eine szenische Dimension, in der das distanzierte Understatement Kreislers einerseits theatralisch aufgebrochen wird, andrerseits gerade dadurch wieder eine Spur des Verständnisses für diesen Monolithen des Abgründigen legt. Denn zunehmend tritt Habjan in Dialog mit seinem zunächst dominanten Kunstprodukt, bis er in „Meine Freiheit, deine Freiheit“ klar macht, wer das Sagen hat und die Schlappe am Hals bammeln lässt.
Die düstere Depression schwarzen Humors wird zum schizophrenen Spiel eines gar nicht lustigen Finales mit dem realen „Begräbnis der Puppe“ (Tschaikowsky- Paraphrase von Kraler und Schett), dem Trost, wie gut es tun könne, über Nacht zu sterben und der Umkehrung des abgeklärten Gedankens an Wiedergeburt in der Erkenntnis „Du hast ja noch Dein Grab“. Nur logisch, dass der tosende Applaus mit der Draufgabe „Der Tod muss ein Wiener sein“ belohnt wurde … Das Spiel mit der Hinterhältigkeit des Intellekts und der emotionellen Gebrochenheit der verwundeten Seele findet in der Puppe eine vergleichbare Hülle wie in der undurchdringlichen Physiognomie Kreislers. In „Der Staatsbeamte“ kommt es zum Metapuppenspiel, wenn Lady Bug ihrerseits eine kleinere Puppe mit Kreislers Zügen bespielt.Die Fragen des Lebens sind konterkariert durch die Absurdität ihrer Umgebung. „Wir zerlegen uns in Teile, die es gar nicht gibt“, das ist eine der vielen herrlichen Betrachtungen über Wahrheit, Einsamkeit und Alter, die auch zum Ergebnis führen können: „Der Mensch muss weg.“ Die Musiknummern sind mit witziger Conference verbunden, wobei Habjan, Puppe und Ensemble ironisch miteinander interagieren. Am innigsten verflechten sich die Bezüge, wenn Kreislers „Das Mädchen mit den drei blauen Augen“ mit Gustav Mahler vermanscht wird. Nahe liegender weise auch mit Zitaten aus den „Liedern eines fahrenden Gesellen“. (DrehPunktKultur, Erhard Petzel, 13.10.2020)
Eingeleitet durch den „Everblack“ „Frühlingslied (Tauben vergiften)“ begeisterte das neue Programm der Osttiroler Musicbanda Franui und des über die Grenzen hinaus bekannten Regisseurs, Puppenspieler- und -bauer Nikolaus Habjan das Publikum vom ersten Moment an. Gebannt durch die spannende Klangbatterie und zum Teil instrumental fast schräg durchbrochenen Teile der Musikstücke der Musicbanda Franui und die unglaubliche Fertigkeit Nikolaus Habjans der Puppe Lady Bug Leben einzuhauchen, wurde aus der Fiktion Realität… Die gealterte Diva Lady Bug (gespielt von Nikolaus Habjan) führte mit viel Attitude, Gesellschaftskritik und Emotionen gesanglich, textlich und szenisch durch den Abend, wobei auch eher unbekanntere Texte Georg Kreislers präsentiert wurden. Eröffnet mit den Worten: „Haben Sie schon einmal für eine Kulturförderung angesucht? Da fühlt man sich immer ganz schmutzig.“ holte sie sich bei dem beamtenkritischen Text „Geflügelzucht“ aus „Der Vielvölkerstaat“ Verstärkung und fand in dem kleinen weißgesichtigem Beamten mit großer schwarzer Nickelbrille Verstärkung. Passend dazu schloss gleich darauf „Der Staatsbeamte“ von 1979 an, bei dem das Publikum begeistert mitging.
Lady Bug bewies bis zum Ende hin, dass „Alles nicht wahr“, neben der Referenz zu Georg Kreisler auch der rote Faden der szenischen Auslegung des Liederabends darstellte. Die zur Realität gewordene Fiktion wurde zum Ende hin würdevoll mit „Du hast ja noch Dein Grab“ und dem abschließenden fulminanten Hackbrettsolo von Bettina Rainer zu Grabe getragen. (Salzburger Kulturvereinigung, 10.10.2020)
Natürlich sind Kreislers abgrundtief böse, dunkelschwarze hinterfotzige Lieder für Habjans monströse Puppenwelt (und ihn selber als glänzend alle Tonfälle beherrschenden Vortragskünstler) wie geschaffen…Die Parade der Kreisler-Klassiker, vom Taubenvergiften über das Triangel und den arschkriecherischen Staatsbeamten bis zur Wanderniere oder dem walzerseligen Wunschtraum vom Wien ohne Wiener., funktioniert bei halbem Saallicht als das erwartbare (und vom zahlreichen Publikum wohl auch erwartete) Best-off-Potpourri… Und da sind sie dann auch, die tiefer gehenden, durchaus existentiellen magischen Habjan/Franui-Momente… (Salzburger Nachrichten, Karl Harb, 11.10.2020)