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„Alcina“

Alcina

Zauberoper von Georg F. Händel

Konzerttheater Bern, Premiere 15.09.2018

 

Texte und szenische Einrichtung: Stefan Suske

Künstlerische Leitung, Oboe: Katharina Suske

Regie: Nikolaus Habjan

Puppendesign und -bau: Nikolaus Habjan

Kostüme: Denise Heschl

Die Freitagsakademie

Alcina: Marie Lys

Morgana: Olivera Tičević

Ruggiero: Jan Börner

Bradamante: Tamara Gura

Oronte : Michael Feyfar

Erzähler: Peter Jecklin

Puppenspiel: Manuela Linshalm

https://www.youtube.com/watch?v=Ai_BWzDZ0FE

Gastspiele in der Schweiz, in Österreich und Deutschland

Vorbericht

Die Oper dürfte auch jetzt, mehr als 280 Jahre später, am Konzert Theater Bern zum Publikumserfolg werden. Denn so, wie Regisseur Habjan das Stück inszeniert, hat man es hier noch nie gesehen: als Opernaufführung mit Sängerinnen, Sängern, einem Erzähler und zum Teil lebensgrossen Puppen. … Nikolaus Habjan will bei der Umsetzung der «Alcina» neben den Maulklappen- auch tischgrosse Stabpuppen ein- setzen. «Durch die unterschiedlichen Grössen kann ich gleichzeitig mehrere Erzählebenen reinbringen.» Hier zum Beispiel lassen sich so die Machtverhältnisse aufdecken. Die Sängerdarsteller hinter den Puppen bleiben immer sicht- bar. Diese Doppelexistenz ermögliche es auch, dass sich jemand von seiner Figur löse, sie «fallen lasse». Etwa, wenn sie stirbt oder – wie hier – der Zauber seine Macht verliert. (Der Kleine Bund, Marianne Mühlemann, 14.09.18)

 

Kritiken

SängerInnen, die singen, SängerInnen, die mit Puppen sprechen, Puppen, die Arien singen, Puppen, die mit Puppen sprechen. Der neueste Streich der Freitagsakademie Bern nach einer Idee von Katharina Suske und in Zusammenarbeit mit BERNVOCAL. Regie führt der gefeierte Puppenspieler und Opernregisseur Nikolaus Habjan. Grosse Gefühle, augenzwinkernde Distanz, tierischer Ernst und verzweifelter Humor. (https://www.bern.com/de/aktuelles-events/veranstaltungen/detail/oper-alcina-einmal-anders)

 

 Da wird dermassen hinreissend gesungen (BernVocal) und agiert, so schön musiziert und so lakonisch kommentiert, dass ich das Gefühl habe, statt der Wiedergabe eines Repertoirestücks einer Erstaufführung beizuwohnen. Erstmals habe ich in meinem Feedback an die verantwortliche Künstlerin das Wort „triumphal“ verwendet, mich leicht genierend wegen dessen pompösen Klangs. Aber das Adjektiv pflanzte sich mir derart dreist in den Weg, dass es nicht zu umgehen war. (Hans Ulrich Glarner,

https://www.erz.be.ch/erz/de/index/direktion/organisation/amt_fuer_kultur/archive/ausgabe_6_2018.html)

 

Kaum zu glauben: bis zu 16 Personen standen im Bühnenraum des Wädenswiler Kleintheaters, um dem Publikum die anspruchsvolle Oper „Alcina“…auf neue und überraschende Art näherzubringen. Urheber dieses ehrgeizigen Projekts ist Nikolaus Habjan, ein häufig und gern gesehener Akteur im Ticino. Der österreichische Regisseur ist verzaubert vom nicht einfach zu verstehenden Musikwerk. Zur Klärung der Handlung lässt er einen Erzähler zu Wort kommen…Faszinierend waren Habjans auftretende Stabpuppen, besonders die große Klappmaulpuppe, die mit ihrem ausdrucksstarken Gesicht und der farbigen Robe das dramatische Geschehen auf der Insel verstärkt….Bei den Sängerinnen und Sängern, die ihre Arien bravourös in den Raum schmetterten, imponierte das innige Zusammenspiel mit den Puppen und der Puppenspielerin. Sie ließen die Premierengäste in die Welt des Komponisten vor 300 Jahren eintauchen…Habjans Neuinszenierung überzeugt, denn sie ist witzig und sinnlich, bedient sich moderner Elemente und driftet dadurch nicht ins Museale ab. Faszinierend gemacht werden Sehnsüchte und Emotionen, die aber zum Ende der Oper aufgelöst werden…(Zürichsee-Zeitung, Viviane Schwizer,23.09.2018)

 

Die «Alcina» in Bern beweist es. Sie kommt ohne Bühnen- «Bild» aus – ein Tisch für die Puppengestelle, Stühle für die Darsteller vorm Eisernen, ein Diaprojektor und ein begrünter Ast genügen – und ohne Dirigent. Ihr genügen ein exzellentes elfköpfiges Barockensemble, fünf hellwache Gesangssolisten, ein humorbegabter Erzähler – und eine Reihe illustrer Puppen. Modelliert, geschminkt und frisiert hat sie Nikolaus Habjan. Und so reichhaltig sind die Empfindungen, die Regisseur Habjan seinen Lieben in die Mienen schnitzte, dass man wieder einmal staunt, wie immens der Ausdruck dieser «Wesen» sein kann, wenn sie so virtuos, im Einklang mit der Musik vitalisiert werden wie von der Puppenspielerin Manuela Linshalm und den Sängerdarstellern als Alter egos der Stabpuppen.

«Alcina» heißt in Bern «Zauberoper», und das darf man ganz wörtlich nehmen: Die Inszenierung gleicht einer Verzauberung durch pralle Mimik und geballte Gestik. All jene «Affekte», die Händel diesem Stück eingeschrieben hat, versinnbildlichen sich in den Puppen selbst. Der verträumte Gram Ruggieros (Jan Börner) nicht weniger als der martialisch-verunglückte Habitus Orontes (Michael Feyfar), die Melancholie Bradamantes (Tamara Gura) ebenso wie das elektrisierend-erotische Temperament Morganas (Olivera Tičević). Im Mittelpunkt aber steht die Titelfigur, die von Marie Lys mit konditionsstarkem, luzidem Sopran ausgestattet wird. Circes Schwester ist nicht nur nymphomanisch begabte Zauberin (wovon die als Tiere auf der Insel vegetierenden Exliebhaber in Bern ein Liedlein singen könnten, wären sie nicht, wie Melisso und Oberto, gestrichen worden), sie ist ebenso launische Diva. Und das buchstäblich. Die Puppe Alcina ist beinahe lebensgroß, und noch größer ist ihr rotgeschminkter Mund, der krokodilartig auf- und zuklappt, alles und jeden verschlingend, neurotisch bis zur Hysterie – Primadonna Assoluta eben.
Die aber verzweifelt mitansehen muss, wie ihre Magie schwindet und der Sonnenstaat der Liebe nach und nach dahinschmilzt. Dieses Drama der Leidenschaft zeigt uns Habjan, doch nicht moralisierend. Stets schwingt der leise Hauch von Ironie mit, das Gefühl, das alles könnte womöglich nur ein Spiel sein, das zwar dem Leben nachempfunden ist, aber dennoch ein Spiel bleibt. Wohl auch deswegen hat er einen Erzähler (Peter Jecklin) eingefügt, der am Bühnenrand einen altertümlichen Projektor vollkritzelt und als eine Art Märchenonkel durch die Geschichte führt. Die Arien werden essentiell übersetzt, die jeweiligen Aggregatzustände der Seelen mit knappen, ins Satirische tendierenden Kommentaren versehen.
Das Schwermütige wird so leicht, ohne leichten Sinns zu sein; menschliche Unzulänglichkeit sieht sich liebevoll-augenzwinkernd aufs Korn genommen. Die Tragödie der Herzen, in Bern ist sie eine Studie über die Condition humaine von beinahe Moliere’schem Esprit: Jedes Gefühl auf der Bühne ist ein (gespielt) echtes, und gerade deswegen können wir darüber schmunzeln, während wir diese unglaubliche Musik genießen – zumal, wenn sie so luftig pulsierend, swing-sprühend dargeboten wird. Das Schönste aber: Sie alle tun etwas, das man auf dem Theater selten sieht: Sie subsumieren sich einer höheren Ausdrucksmacht. Und die ist an diesem fantasiegetränkten Abend in Alcinas Puppenheim immens.
(Opernwelt November 2018)

 

Tausendsassa Nikolaus Habjan lud im Mozart-Saal zu einer erquickenden Reise durch Händels Zauberoper Alcina, die sowohl für Neulinge als auch für Liebhaber von Barockopern etwas zu bieten hatte

„Die Geschichte, die ich Ihnen erzähle, ist nicht ganz einfach…“ Dieser einleitenden Aussage des Erzählers (Peter Jecklin) würden in Bezug auf Barockoper wohl viele zustimmen. Und dennoch gelang es Dienstag Abend im Konzertsaal, Alcina als konzises, unterhaltsames und leicht zu verfolgendes Spiel auf die Bühne zu bringen. Auf der linken Seite des Podiums die Berner Freitagsakademie, in der Mitte ein schwarz verhüllter Tisch, auf der rechten Seite der Erzähler an einem Overheadprojektor als Kanzel, am Rand noch ein paar Büsche positioniert – das war die ganze Szene des Schauspiels.Verantwortlich für den Abend war Nikolaus Habjan, Puppenbauer und -spieler, Kunstpfeifer und Regisseur in Personalunion, der wohl in den letzten Jahren einen so kometenhaften Aufstieg in der deutschsprachigen Kulturszene (vom kleinen Wiener Schuberttheater bis nach Bayreuth) hingelegt hat wie wenige andere. Er konzipierte gemeinsam mit Stefan Suske eine gekürzte Fassung von Alcina, in der zwischen den wichtigen musikalischen Nummern zusätzliche Texte gesprochen wurden. Sämtliche Sänger*innen führten die Puppen ihrer Figuren (relativ kleine, gedrungene Gestalten – einzig Alcina war als typische Klappmaulpuppe in Lebensgröße gefertigt), sprachen, sangen und interagierten auch mit ihren eigenen Alter Egos. In Momenten besonderen emotionalen Tiefgangs wurden auch bisweilen die Puppen beiseite gelassen und die Sänger*innen, die sonst im wahrsten Sinne des Wortes hinter den Puppen verschwanden, traten selbst in den Vordergrund

Wenn nun der Erzähler das Spiel unterbrach, um noch einmal auf seinem Overhead die komplizierte Personenkonstellation zu verdeutlichen, als Allwissender das Geschehen geschickt kommentierte, oder – die vierte Wand durchbrechend – dem Publikum davon erzählte, dass gewisse Personen in dieser Fassung gestrichen worden waren, ergab sich so ein unglaublich vielschichtiges Geflecht an Bedeutungsebenen…es wurde eine erfrischende neue Perspektive auf Barockoper geboten, die einerseits jene begeistern konnte, die aus Furcht vor der Langeweile für gewöhnlich einen Bogen um diese Werke machen, aber genauso interessant für jene war, die das Werk schon kannten.

(musikkritik, May 27, Moritz Rosiger)(https://www.bohema-wien.com/musik/barocke-kurzweil-mit-haendel-und-puppen)

 

Wem die Handlung von Händels Zauberoper „Alcina“ stets verwirrend vorkam, der war bei Nikolaus Habjans Inszenierung gut aufgehoben: Die Textfassung von Stefan Suske konzentrierte sich auf die wesentlichen fünf Figuren, gedoppelt mit Habjans Klappmaul- und Stabpuppen; auch musikalisch beschränkte man sich auf die Essenz, dargeboten von der elfköpfigen Freitagsakademie Bern. Statt Rezitativen führte Peter Jecklin als Erzähler mit simplen Erklärungen und augenzwinkernden Kommentaren durch die Liebeswirren rund um die Zauberin Alcina. Bald lieferte er bissige und humorvolle Anmerkungen zum Geschehen auf der fast leeren Bühne,bald zeichnete er auf Overheadfolie, um das Liebeskarussell zu entwirren, das Gesungene zu illustrieren oder die Zuschauer über Beweggründe – etwa: „Oronte intrigiert“ – zu informieren.

So konnte man in der barocken Musik schwelgen, ohne Gefahr zu laufen, den Faden zu verlieren. Gesungen wurde auf hohem Niveau. .. Allen Sängern gelang es, sowohl im innigen, ja liebevollen Zusammenspiel mit den Puppen als auch ohne sie zu bestehen. Habjan ließ die Pappmaché-Figuren nämlich nicht nur einfach Doppelgänger der Sänger sein, sondern diese auch mit ihren Alter Egos in Dialog treten: Da nahm Anna Manske als Bradamante ihre Puppe tröstend in den Arm, da warnte Oronte sich quasi selbst, da fanden Puppen zueinander, bevor es die zugehörigen Darsteller ihnen nachtaten. Das brachte eine interessante weitere Ebene in die lebendige, abwechslungsreiche, doch leicht zu konsumierende Produktion.  DIE PRESSE, 27.05.2021, Theresa Steiniger