Der Herr Karl
von Carl Merz und Helmut Qualtinger
Bearbeitung: Nikolaus Habjan
Schubert Theater Wien, Premiere 26.02.2010
Regie: Simon Meusburger
Puppendesign, -bau: Nikolaus Habjan
Puppenspiel: Nikolaus Habjan
Preise
bestOFFstyria 2.10:
Publikumspreis an Nikolaus Habjan mit der Produktion «Der Herr Karl»
Nikolaus Habjan gibt den Kellnerlehrling in einem Volkstheaterstück. Sein „Herr Karl“ säuft, raucht und raunzt sich durch die österreichische Geschichte. Eine Beiselmilieustudie im 20erJahre Look, mit Mikroport-Update, rotem Samt, Kellnerfliegen und Grammophon. Souverän beschwört der Puppenspieler Habjan die guten alten Zeiten, dabei erinnern die Puppen schon mal an Otto Dix. Der Text wird als 50er-Jahre-Stück gespielt und verliert dabei die Brisanz gegen die politische Rechte von heute. Formell und inhaltlich bleibt die Inszenierung auf der nostalgischen Wohlfühlebene, obwohl das Talent des Puppenspielers eindeutig ist! (Begründung der Jury)
TZ-Rosenstrauß 2017 für Der Herr Karl
Nikolaus Habjan lässt die Puppen tanzen- in seiner Oberon-Premiere an der Staatsoper respektabel. Und schlicht atemberaubend im Residenztheater in Qualtingers Klassiker „Der Herr Karl“. Grandios, virtuos, faszinierend.
(Süddeutsche Zeitung, 30./31.12.2017/01.01.2018)
Gastspiele im In- und Ausland, darunter im Residenztheater München, in Straubing, im Schauspielhaus Zürich, in Liechtenstein, im Next Liberty Graz und im Burgtheater Wien, im Posthof Linz u.a.m.
Interviews
Robert Braunmüller mit Nikolaus Habjan, Abendzeitung München, 07.07.2017
Herr Habjan, 1961 hat Helmut Qualtinger den „Herrn Karl“ im Fernsehen gespielt. Der Film wurde oft wiederholt. Wie sitzt einem der Qualtinger im Nacken, wenn man das Ein-Personenstück neu inszeniert?
Qualtinger war einfach genial. Aber es wäre der größte Fehler, ihn imitieren zu wollen. Natürlich hätte ich die Puppe eines dicken Mannes im grauen Kittel mit Hitlerbärtchen bauen können. Aber das wäre langweilig geworden.
AZ: Was ist Ihre Lösung?
Ich habe mich mit der Entstehung des Textes von Qualtinger und Carl Merz beschäftigt. Sie haben den Text aus Interviews mit mindestens vier Personen zusammengebaut. Die Ideologie stammt von einem Garderobier im Volkstheater. Die Sprechweise ähnelt der des Wirts im Wiener Gasthof „Gutruf“, von dem sogar ein Tondokument existiert. Ich spreche den ganzen Text, spiele den Monolog aber mit drei Puppen: einem Gast, dem Oberkellner und einer manisch-depressiven Bardame. Das Ganze spielt in einem Cafehaus, in dem die Zeit stehengeblieben ist.
Der Text wirkt erstaunlich frisch.
Ja leider. Wenn etwa FPÖ-Politiker in Österreich Behinderten das Wahlrecht entziehen wollen, dann gibt es keinen Aufschrei. Das regt mich auf. So fängt es an. Auch der Herr Karl erzählt sehr brutale Sachen, aber immer mit dem Tonfall „Leider hat man nix machen können.“
Wer ist der Herr Karl eigentlich?
Er hat sich als Opportunist durch die österreichische Geschichte des 20.Jahrhunderts laviert. Er war erst Sozialist, dann Christsozialer, später Nazi. Und er behauptet, durchwegs Opfer der Umstände gewesen zu sein.
Kritiken
Mit dem „Herrn Karl“ von Helmut Qualtinger & Carl Merz hat er sich einen großen Brocken vorgenommen…Der Herr Karl ist in jedem von uns zu finden. Und so schlüpft der Akteur abwechselnd mit seinen Händen in die von ihm gestalteten skurrilen Puppen. Dass sie in den Sprechpausen auf Metzgerhaken hängen, macht die Sache noch makaberer.Gemeinsam mit seinem Regisseur Simon Meusburger hat Habjan eine hervorragende Interpretation des Stückes geschaffen und sich klugerweise nie zur Imitation verleiten lassen. (Steirerkrone, Christoph Hartner, 20.03.2010)
Ein lustig tragischer, sehr wienerischer Abend, der vor allem von Habjans Spiel lebt.
(Falter, Sara Schausberger, 02.06.2010)
Der „Herr Karl“ kann in jedem von uns stecken, lehrt Nikolaus Habjan in der Puppenversion des Klassikers.
In der Puppentheaterversion (Regie: Simon Meusburger) sind sie alle der Herr Karl: Der Grazer Puppenspieler Nikolaus Habjan schlüpft abwechselnd mit Hand und Stimme in die Puppen und lässt sie von früheren Zeiten schwärmen, von früheren Zeiten klagen, es war ja alles besser, nein furchtbar, man musste es sich eben richten. Der Herr Karl ist moralisch flexibel: Er demonstrierte für fünf Schilling für die Partei, die gerade angesagt war, Opfer war er natürlich immer.
Die Vielschichtigkeit des verachtenswerten Charakters kommt durch die Aufteilung auf mehrere Klappmaulpuppen schön zum Ausdruck. Der Kaffeehausgast zählt die politischen Ereignisse herunter, an denen er selbst stets als aktiver Schaulustiger beteiligt war, der adrette Kellner referiert über Liebschaften, Jobs und Leben im Gemeindebau. Die Dame an der Bar hat sich stets bereichert, andere ausgenutzt. Immer wieder interagieren die Puppen miteinander, machen einander Vorwürfe, tanzen und schmusen.
Es ist ein amüsantes Spiel, dabei stets ermahnend und gefährlich authentisch – obwohl, oder vielleicht gerade weil Habjan moderne Anspielungen eingebaut hat. Herr Karl jammert nicht nur über die Inflation, sondern auch über das Rauchverbot im Café: „Is aber blöd. Wegen da EU?“ Klingeltöne und Husten aus dem Publikum knüpft er geschickt in den Text ein. Er bringt zum Lachen, das Lustige hat dabei aber einen bitteren Beigeschmack: Denn der Herr Karl begegnet uns auch im Alltag, im Kaffeehaus, auf Facebook und manchmal sogar in der eigenen Familie. Man lächelt verschämt und weicht ihm gern aus. Habjan lässt sein Publikum aber nicht davonlaufen. Während er fließend von einer Ausformung des Charakters in die nächste wechselt, zeigt er, dass das Abgründige im Menschen gleich hinter der Oberfläche lauert und dass sich Qualtingers Dicker mit dem Schnurrbart in jedem von uns verstecken könnte.
Dabei nimmt er sich auch selbst nicht aus: Am Ende der Vorstellung, nachdem er seine Puppe von der Bühne geschleudert hat (Dienstschluss!), hängt er plötzlich selbst am Haken wie eine leblose Marionette.
(Die Presse, Kathrin Nussmayr, 03.01.2015)
Geschickt spaltet der Tausendsassa…die Rolle des personifizierten Mitläufers Herr Karl auf drei menschengroße Klappmaulpuppen auf, die er liebevoll selbst hergestellt hat. Und wie er diesen Puppen Leben einhaucht, wie er sie ihre Vita Revue passieren lässt, wie sie lamentieren, provozieren, posieren, klagen und triumphieren, küssen und seufzen, buckeln und treten, macht sprachlos. Obwohl ihre Gesichter ganz eindeutig und gewollt auffallend Puppenfratzen sind, glaubt man, von ihren Papp-Visagen Gefühle abzulesen, ihr hämisches Grinsen zu erkennen, ihre anbiedernden Blicke, ihre wutverzerrten Grimassen. Wenn Herr Karl, der devote Kellner, fies lacht und sich gegen alle Regeln eine Zigarette nach der anderen ansteckt, die verlebte Bardame in wehmütigem Gedenken an ihren aus ganz egoistischen Motiven gegründeten Sparkassenverein die Theke blitzblank wienert und Herr Berni, der miese Mitläufer, der sich selbst immer als größtes aller Opfer sieht, spontan mit dem Publikum kommuniziert, wird der Puppenspieler Habjan, der stets sichtbar daneben steht, fast unsichtbar. Seine Puppen leben, faszinieren, fesseln den Zuschauer völlig und lassen ihren Sprecher nur dann in Erscheinung treten, wenn sie mit ihm selbst diskutieren – oder wenn er sie an einem Fleischerhaken buchstäblich und mit dem passenden Seufzer der Puppe erhängt – immer wieder, am Ende jeder einzelnen Szene. Böser, bitterer und besser kann Theater kaum sein. (Münchner Merkur, Melanie Brandl, 07.07.2017)
Den Härtetest besteht diese Aufführung mühelos. Man kann sich am Nachmittag Helmut Qualtinger in „Der Herr Karl“ ansehen. Am Abend, wenn Nikolaus Habjan das gleiche Stück mit seinen Puppen als Gastspiel im Residenztheater aufführt, denkt man keine Sekunde daran. Das muss man erst mal schaffen…
Habjan und Simon Meusburger (Regie) teilen die Erzählung auf drei Figuren auf und verlegen sie in ein schäbiges Kaffeehaus. Habjan spricht den ganzen Text hochvirtuos und durchaus in der Qualtinger-Nachfolge mit mehreren Stimmen. Zugleich spielt er den jungen Aushilfskellner, dem die drei Klappmaulpuppen ihre alkoholgeschwängerten Lebensgeschichten erzählen. Bis sie besoffen unter oder auf dem Tisch liegen…Habjan kehrt das Groteske heraus. Der dreifache Herr Karl wird dadurch keinesfalls verharmlost. Sein Opportunismus wird noch widerwärtiger, wenn sich der Mittäter als Opfer der Umstände geriert…Es war ein wunderbar fieser, finsterer, kurz: sehr österreichischer Abend. Das Gemeinste sind die Fleischerhaken, an denen die Puppen baumeln, wenn sie gerade Pause haben. Das erste Wort des Monologs bleibt das letzte: „Mir brauchen Se gar nix derzählen, weil i kenn das…“, sagt Habjan und hängt sich selbst an den Haken. (Abendzeitung München, Robert Braunmüller, 10.07.2017)
Einem jungen Menschen erzählt der Herr Karl seine Geschichte, in Wels wird der Puppenspieler zum Gegenüber. Er führt seine Puppen nicht nur, er tritt mit ihnen in Interaktion. Diese Ebene, die den Zuseher nicht rätseln lässt, wie denn das alles auf der Bühne funktioniert, eröffnet eine Transparenz, die bereichert.
Charme und Schmäh haben sie, die drei Figuren auf der Bühne. Vielleicht nimmt man nicht alles ernst von den Gschichtln, die sie drucken. Als Österreicher wird halt geraunzt. Aber da steckt mehr dahinter. Die Geschichten werden düsterer, böser, hinterfotziger … für fünf Schilling demonstrieren gehen, da ist die Seite egal, auf der man steht. Und Mitglied in der Partei? Ja, das war doch jeder damals, als der Hitler mit einem solchen Hurra gekommen ist. „Wie ein riesiger Heuriger war’s.“Heute ist man ja auch überall dabei, bei der Gewerkschaft, bei Facebook und …
Die Welt dreht sich weiter, die Russen kommen, die Amerikaner, der „Poidl“ tritt auf den Balkon. Mit ihr dreht sich der Herr Karl immer auf der Seite jener, die er benutzen kann. „Sommer war’s, heiß war’s, Krieg war. Da war’s leicht mit den Weibern.“
Die Stücke, die Habjan, dessen Stern längst ein fixer nicht nur am Puppentheaterhimmel ist, auswählt, verschmelzen perfekt mit der seiner Klappmaulpuppen und seinem eigenen Spiel. Das Grausliche am Menschen bekommt mit den Puppen ein wahrhaftiges Gesicht. Kurz vor Dienstschluss spricht der Herr Karl noch weise: „Da kommt noch viel auf uns zu!“ (Neues Volksblatt, Mariella Moshammer, 11.03.2017)
Habjan: „Es geschehen Dinge, die wir nicht tolerieren dürfen. Paulus Hochgatterer hat das vor ein paar Tagen in einem Gespräch mit mir sehr gescheit formuliert: Es ist ein Missverständnis, wenn es heißt, der Rechtsstaat müsse dafür sorgen, dass die Leute sicher sind. Nein, der Rechtsstaat muss in erster Linie dafür sorgen, dass die Menschen anständig bleiben können. Das Wort Anstand verliert immer mehr an Bedeutung.“ Diesen Umstand hätten bereits Qualtinger und Co-Autor Carl Merz scharf kritisiert. Ein Beispiel für die aktuelle Unanständigkeit sei: „Dass es strafbar geworden ist, ertrinkende Menschen zu retten. Oder dass der Herr Waldhäusl von der FPÖ sagt, es müsse eine Ausgangssperre für Asylwerber eingeführt werden. Das ist unanständig und unmenschlich.“
„Puppentheater war immer politisch“, sagt Habjan. Die Puppe sei ein wertvolles Transportmittel für unangenehme Wahrheiten, auch in einer aufgeklärten Gesellschaft. Habjan: „Sobald dieser Prozess der Aufklärung als erledigt angesehen wird, ist es mit der Aufklärung schon wieder vorbei. Das ist unser Problem: Wir haben uns im Kopf schon zu weit davon entfernt.“ Die Kunst habe eine Art Gegenbewegung zur Unanständigkeit zu sein – „und sie muss an Schärfe zulegen.“ (Oberösterreichische Nachrichten, Peter Grubmüller, 27.09.2018)
Klassiker lassen sich mit großem Gewinn neu erfinden. Dies beweist eindrucksvoll Nikolaus Habjan mit seiner Fassung des Stücks „Der Herr Karl“, das als Monolog des charismatischen Helmut Qualtinger Kultstatus erlangt hat. Der noch junge Grazer Habjan verteilt die 1961 verfasste Ein-Mann-Rolle des opportunistischen Kleinbürgers auf mehrere Figuren. Nicht nur Herr Karl, sondern drei Klappmaulpuppen in Lebensgröße erzählen aus ihrem Leben während der wechselhaften österreichischen Geschichte vom Ende des Ersten Weltkriegs bis in die 1950er Jahre.
Ausstaffiert mit einer Mischung aus Groteske und Lebensnähe sind der alte Kellner mit dem Zwirbelschnauzer, der greise Gast und die ihre Blütezeit überschrittene Aushilfskellnerin eine Augenweide. Ihre Stimmen, Beine und Handbewegungen bekommen die Halbkörper-Puppen von Habjan. Dass sie dabei zu Menschen werden und der Puppenspieler keine Sekunde als Fremdkörper wirkt, sondern mitunter auch als vierte Rolle agiert, ist eine grandiose Leistung. Ebenso großartig tariert er die Stimmen aus, in Mono- wie Dialogen, vom leisem Schluchzen bis zum heftigen Wutausbruch. …Habjan bereichert seine Fassung mit Zitaten aus der Jetztzeit, mit einer heftigen Liebesszene, mit Slapstickmomenten und spontaner Interaktion mit dem Publikum. (Passauer Neue Presse, Gabriele Blachnik, 21.01.2019)
Akteure sind ein Gast, der Kellner und die Bardame, die Nikolaus Habjan abwechselnd und je nach Bedarf zum Leben erweckt. Er und seine wunderbar charaktervollen Puppen harmonieren bestens zu „Wiener Blut“ sowie schmähgetränkten Sprachmelodien der beiden Autoren. Das Publikum geht begeistert mit, spendet immer wie- der Szenenapplaus und verabschiedet den Puppenspieler nach eindreiviertel Stunden mit lang anhalten- dem Beifall. (Straubinger Tagblatt, Bernd Hielscher, 25.03.2019)