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„Die Kunst des Pfeifens“

Kunstpfeifen ist eine höchst virtuose Kunstform, die sich speziell im 19. Jahrhundert größter Beliebtheit erfreute, wie im Berliner Courier vom 19. November 1888 zu lesen ist „Ein Pfeifvirtuose hat sich wohl noch nie zuvor auf einer Bühne vorgestellt. Daß von einer Bühne herab gepfiffen wird, geschieht wohl zum ersten Mal. Wie Baron Jean einfach mit den Lippen Musik macht, wie er Seele und feine Pointierung in den Vortrag legt, dem Instrumental-Quartett ein eigenartiges und überraschendes Element beimischt, das erregte stürmischen Beifall.“

 

Der sehr attraktive Baron Jean, eigentlich Hans Tranquillini (1855–1895), ein Fiaker vom Wiener Graben und Kunstpfeifer des legendären Schrammelquartetts konnte so gut pfeifen, dass ihn ein norddeutscher Kritiker sogar mit einer Nachtigall verglich, die einige Jahre am Konservatorium studiert hätte.

 

Der Umfang des Kunstpfeifens konnte von einer kleinen Oktave bis über das drei gestrichene C reichen. Durch Herausstoßen und Einziehen der Luft konnte die Tonfarbe in auffallender Weise variiert werden.

 

Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts erlebte die Kunst des Pfeifens in Wien einen Höhenflug. Das Schrammelquartett trat mit Natursängern, Dudlern und Kunstpfeifern auf, die beim Publikum so beliebt waren, dass sie mehr Trinkgeld als die sogenannten Volkssänger bekamen.

 

Diese Kunstform erfreute sich nicht nur beim Heurigenpublikum, sondern auch beim Adel größter Beliebtheit. Ein besonderer Bewunderer dieses Genres war Kronprinz Rudolf, der 1887 die Schrammeln und Baron Jean für 4 Tage in das Jagdschloss Orth einlud, um für geladene Gäste wie den späteren Thronfolger Erzherzog Ferdinand, den Prinzen Leopold von Bayern und die Prinzen August und Philipp von Coburg-Gotha aufzuspielen.

 

Diesem Auftritt folgte eine Tournee durch die Städte Graz, Salzburg, Budapest, Brünn, Frankfurt, Stuttgart und nach Berlin. Die Tournee wurde ein Riesenerfolg. Speziell der Kunstpfeifer wurde stürmisch bejubelt. Der letzte große Auftritt Baron Jean war 1893 in Chicago bei der Weltausstellung. Er starb verarmt 1895 in New York.

 

Um 1900 erlangte der Wiener Schlossermeister Georg Tramer, der „Tramer Schorschl“, noch einige Berühmtheit und feierte mit dem Wiener Operettenensemble in London, Berlin und Budapest große Erfolge. Von ihm gibt es auch die 1. Aufnahme eines Kunstpfeifers aus dem Jahre 1902 (https://gramofononline.hu/1183033843/czardas-potpourri). Er soll die Piccolo-Flöte so täuschend imitiert haben, dass selbst Berufsmusiker nicht imstande waren, einen Unterschied zum echten Instrument zu hören.

Die letzte berühmte Kunstpfeiferin Österreichs war Jeanette Schmid (1924–2005) die sich Baroness Lips von Lipstrill im Gedenken an Baron Jean nannte. Sie trat mit Künstlern wie Frank Sinatra, Marlene Dietrich, Josephine Baker oder Edith Piaf auf. Als sie 2005 verstarb, drohte das Ende dieser Kunstgattung in Österreich.

 

Beinah konkurrenzlos nimmt nun Nikolaus Habjan das Staffelholz für eine weitere historische Etappe des Kunstpfeifens in die Hand. (Konzerthaus 30. Dezember 2017)

 

Sein Spezialgebiet sind Kolloraturarien aus drei Jahrhunderten: Von Händel, Mozarts „Der Hölle Rachen“ aus der Zauberflöte bis zum Belcanto, auch Verdi, Schubert, Wagner bis zur Arie der Adele „Spiel ich die Unschuld vom Lande“ aus der „Fledermaus“ von Johann Strauß.